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Musik: Spiegelbild der pluralen und toleranten Einstellung

  Klaus von Bismarck liebte Musik. Doch sie war für ihn weit mehr als eine Kunst, die dem Genuss dient. Sie besaß für ihn auch eine pädagogische, verbindende und viele weitere Impulse gebende Dimension. Als Intendant des WDR nutzte er Musik als soziales und politisches Instrument, um in der Gesellschaft gegenseitige Toleranz zu fördern und um für Verständigung mit den östlichen Nachbarn zu werben. Seine Offenheit für verschiedene Musikrichtungen bereicherte ihn persönlich, bestimmte Lieder wurden ihm nach eigener Aussage zu Klangbildern für wertvolle Prägungen, Einsichten und Erfahrungen. Schon das Elternhaus öffnete Klaus von Bismarck die Tür zur Musik. Besonders Mutter Gertrud und Großmutter Anna Koehn trugen zu einer reichhaltigen Musikkultur auf Kniephof bei. Die Bezüge der Mutter zur bürgerlichen Berliner Musikszene und das Klavierspiel der Großmutter sorgten dabei für eine Orientierung an Qualität und für eine gewisse Vielfalt. So wurde Klaus von Bismarck früh vertraut mit klassischer und Kirchenmusik, später kamen neue Richtungen wie Jazz hinzu. Im jungen Klaus von Bismarck weckten die heimischen Erfahrungen mit Musik das Bedürfnis zum eigenen Cello-Spiel, das aber nicht sehr weit gedieh. Die tröstende, befreiende und stimulierende Wirkung von Musik erlebte er anschließend in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen: Unter anderem dankbar-besinnlich bei Weihnachtsfeiern im und kurz nach dem Krieg, ideologische Grenzen überwinden helfend während der Jugendhofarbeit in Vlotho und kraftvoll die Gemeinschaft fördernd auf Kirchentagen. Als Intendant des WDR avancierte er dann zum engagierten Förderer von Musik. Die Kölner Senderanstalt machte ihm dies leicht, da sie bei von Bismarcks Amtsantritt 1961 nicht nur mit einem breiten Programmangebot im Bereich Musik aufwartete, sondern sich zudem auf dem Gebiet der Neuen Musik internationale Anerkennung erworben hatte. Bereits 1951 waren das weltweit erste Studio für Elektronische Musik einer Rundfunkanstalt gegründet und die Reihe „Musik der Zeit“ eingeführt worden. Dies ließ den WDR nach 1945 zu einem frühen Förderer avantgardistischer Musik unter den deutschen Rundfunkanstalten und das Rheinland zu einem international richtungsweisenden Zentrum für solche zeitgenössische Musik werden. Als Intendant trug Klaus von Bismarck bewusst zum Ausbau des gewonnenen Images bei und setzte es für politische Zwecke ein, speziell für die von ihm an vielen weiteren Stellen unterstützte deutsch-polnische Verständigung. Unter seiner Führung vergab der WDR „als Beitrag zur deutschen Aussöhnung mit Polen“ (Björn Gottstein in: Musik der Zeit, S. 84) einen Kompositionsauftrag an den Professor und späteren Rektor der Musikakademie Krakau, Krzysztof Penderecki. Er hatte sich kurz zuvor einen internationalen Namen in der Neuen Musik gemacht. Die Uraufführung der aus dem WDR-Auftrag resultierenden Lukas-Passion im St.-Paulus-Dom zu Münster (1966) wurde ein „Politikum und Welterfolg“ (Rainer Peters in: Musik der Zeit; S. 42). Musikalisch ist die Komposition ein Schlüsselwerk der Neuen Musik, politisch untermauerte es die Bestrebungen des Intendanten von Bismarck, beginnend mit Polen den Eisernen Vorhang durchlässiger machen zu helfen. Der Leiter der Redaktionsgruppe Neue Musik im WDR, Otto Tomek, resümierte unmittelbar vor Unterzeichnung des deutsch-polnischen Grundlagenvertrages am 7. Dezember 1970: „Man kann sagen, daß wir mit Hilfe der Musik bei der Vorbereitung des deutsch-polnischen Dialoges stillschweigend und ohne große Propaganda doch wohl wirksam vorgearbeitet haben, auch zu Zeiten, wo der kalte Krieg einem ziemlich ins Gesicht blies.“ Intendant von Bismarck gehörte zur handverlesenen deutschen Delegation, die Bundeskanzler Willy Brandt zur Vertragsunterzeichnung in Warschau begleiten durfte. Auf den Geschmack des breiten Publikums traf Neue Musik jedoch nicht. „Werke von [Krzysztof] Penderecki, [Karlheinz] Stockhausen, [Mauricio] Kagel und [Bernd Alois] Zimmermann, die der Westdeutsche Rundfunk z. B. nicht ohne Stolz als ‚seine‘ Musikautoren ansieht, werden auch den Hörern des allgemeinen Programms zugemutet“, beschrieb von Bismarck 1971 auf einer internationalen Hörfunk-Konferenz in Helsinki einen generellen Grundsatz seiner Rundfunkpolitik. Mit solchen „Zumutungen“ wollte er nach eigener Aussage ein breiteres Publikum für...

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Zeitzeugen: Ruth-Alice von Bismarck und der Shalom Kreis

Der Shalom Kreis ist eine private, weltoffene und interreligiöse Vereinigung. Mitbegründerin und viele Jahre lang Mittelpunkt der Initiative war Ruth-Alice von Bismarck. Weitere bedeutende Mitinitiatoren waren Prof. Dr. Herbert Jehle (1907-1983), ein Physiker, der als NS-Gegner nach seiner Emigration an mehreren Universitäten in den USA lehrte und forschte, und seine Frau Dietlinde „Dieta“ Jehle (1915-2009), geb. Freifrau von Künßberg. Beide waren engagierte Pazifisten und Quäker, die seit 1977 in München lebten. Renate Lauermann Der Kreis wurde vor allem von engagierten Menschen aus der Friedensbewegung getragen. Dazu zählten Mitglieder von Pax Christi, TeilnehmerInnen an der Menschenkette von Stuttgart / Ulm 1983 und an den Sitzblockaden in Mutlangen ab 1983, besonders jene aus der Gruppe mit dem Schriftsteller Dieter Lattmann (1926-2018), sowie Ostermarschierer. Motive des Engagements im Shalom Kreis waren persönliche Kriegserfahrungen oder um 1989 für einen friedlichen Verlauf der Demonstrationen in Leipzig und Ostberlin zu beten. Die Kraft ihrer Spiritualität Jour fixe des Shalom Kreises war donnerstags Nachmittag. Ruth-Alice von Bismarck lud zu Friedensgebet, Tee und Gespräch in ihre Wohnung in der Römerstr. 4 in München, Westschwabing, ein. (Auf dem Foto das Dreifachfenster im 1. Stock.) Es war ein heterogener Kreis unterschiedlichster Frauen, der sich in seiner Zusammensetzung mit den Jahren veränderte. Wir waren vornehmlich Frauen. Dr. Elisabeth Kickhöfer, Theologin, Renate Lauermann, Übersetzerin, Inge Ammon, Pfarrersfrau der Erlöserkirche München Schwabing und unermüdliche Friedens-Aktivistin, Marlen Lattmann, Heidi Hemmer, Freundin von Ruth-Alice aus pommerscher Zeit, Ingrid Drum, Aktivistin in urbanen Themen und Mitinitiatorin des „Römermülls“, Anna Weiß, Gertrud Scherer, Lehrerin, Ursula Edle von Hayek, Ulrike Trüstedt, Komponistin, Mareijke Köhler-Wories, Sekretärin von Ulrike Mascher (Politikerin, SPD), bildeten die sogenannte Stammgruppe. Gäste waren immer willkommen. Es gab eine Dramaturgie: Die Anliegen Nach Quäker-Art konnte jeder sein Anliegen im Kreis vortragen, unabhängig davon, ob sie persönlicher oder politischer Natur waren. Ruth-Alice von Bismarck griff dann nach ihrer Bibel, die immer bereit lag, oder nach den Herrnhuter Losungen, wählte einen Psalm aus und trug ihn vor. Ihre Stimme wurde kontinuierlich leiser. Mit geschlossenen Augen, tief in sich hineinhorchend, die Hände gefaltet, mit verschränkten Fingern, strahlte sie eine große Stille aus. In ihr sammelte sie ihre Gedanken, in die hinein sie ihr Gebet formulierte, die Anliegen mit einschließend. Aus einer tiefen Vertrauensbasis heraus kamen ihre Worte. Wesentlicher Ansprechpartner ihres Gebetes war das DU – Ihr Gebet transformierte uns und die vorgetragenen Anliegen und/oder Sorgen, sie persönlich sprach von Segen (siehe nachfolgender Text). Es waren authentische Momente. Beitrag Das Treffen wurde durch einen aktuellen Beitrag, sei er politischer, kultureller oder sozialer Art, fortgeführt. Oft verschickten TeilnehmerInnen bereits im Vorfeld Faxe mit ihren Anregungen für das kommende Treffen. Oder es gab Gastvorträge. Beispielsweise war während des jugoslawischen Bürgerkriegs in den 1990er Jahren der serbisch-orthodoxe Pope aus München zu Gast. Diskussion Den Beiträgen folgte stets eine Diskussion. In lockerer Gesprächsrunde klang das Treffen aus, und wir gingen verändert nach Hause. Feste, Feiern An Epiphanias wurde Neujahr gefeiert, mit großem Christbaum, Suppe, Tee und Plätzchen. Der Kreis der Gäste war größer und vielschichtiger. Mittelpunkt der Feier war die Zeremonie der Anliegen. Nach Quäker-Art konnte jeder sein Anliegen formulieren und anschließend symbolisch eine Kerze am Christbaum anzünden, jeder bekam hierfür die Zeit der Welt. Der Christbaum erstrahlte und draußen brach die Nacht herein. Ruth Alice von Bismarck verstand zu feiern. Der Shalom Kreis trifft sich heute noch in veränderter Form bei Gudrun Diestel. Engagement für Asylanten und Migranten Anna Gourari, Pianistin, kam mit ihrer Familie aus Kasachstan nach München. Sie konnte in der Wohnung von Ruth-Alice von Bismarck üben. Ihr Humor Eine Episode (kurze Zeit vor dem Umzug, Klaus von Bismarck war gerade in Hamburg zu Besuch gewesen): Mit ihrem typischen Lachen...

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Zeitzeugen: Die „Aktion Römer-Müll“ von Gertrud Scherer

Ruth Alice von Bismarck war eine praktisch denkende Frau mit offenem Blick für gerade Notwendiges und mit Vertrauen in verantwortliches Handeln ihrer Mitmenschen. Sie schätzte die gegenseitige Bereicherung in der Arbeit mit Gruppen, und da war ihr auch ein Arbeitsfeld wie Müll nicht zu banal. Denn die Stadt München, genauer gesagt das Abfallwirtschaftsamt, war in den ausgehenden 1980er Jahren sehr daran interessiert, dass sich Bürger(innen) am Abbau der ständig wachsenden Müllberge beteiligen, an Mülltrennung und Müllvermeidung. „Müll“-Bewusstsein entsteht allerdings nicht von allein, dazu braucht es Anschubkräfte. Frau von Bismarck griff dieses, damals sehr dringende Anliegen der Kommune auf, fand in ihrem „Ökumenischen Schalom-Kreis“ Gleichgesinnte aus der Schwabinger Römerstraße – in der sie selbst wohnte – und initiierte 1989 die „Aktion Römer-Müll“. Die „Nachbarschaftshilfe Schwabing“ des „Urbanen Wohnens“, vertreten von Ingrid Drum, beteiligte sich von Anfang an. Die zunächst sehr kleine Gruppe von Frauen startete das Projekt mit einer Vor-Information in die Briefkästen aller Anrainer der Römerstraße über den kommenden Start der „Aktion Römer-Müll“ mit den Stichworten: Müll trennen – wiederverwerten – verringern – vermeiden. Ruth Alice von Bismarck hatte eine gute Hand im Umgang mit den Leuten im Arbeitsteam und mit den Anwohnerinnen und Anwohnern der Römerstraße. Ihr ging es nicht um Information, die man schnell wieder vergisst, sondern um interessierte Beschäftigung mit den Themen, um Mitdenken, um Betroffenheit und eigene Verantwortung, um Kreativität und das gemeinsame Finden der besten Lösungen. Sie konnte Menschen in guter Weise anregen. Das zeigt sich an ihren Einladungen zu „Müll“-Versammlungen, an den „Römer-Blättchen“ und „Römer-Briefen“ mit Informationen. Inhaltlich ging es um „Müll“-Bewusstsein, zum Beispiel in Sachen Glas, Aluminium, Dosen, Papier, Plastik und Kompostierbares. Frau von Bismarck pflegte guten Kontakt zum Abfallwirtschaftsamt und lud von dort Fachleute zu den oft sehr gut besuchten „Müll“-Versammlungen ein. Dabei wurde bald der Biomüll zu einem Schwerpunktthema, denn die Stadt München plante 1989 in vier Versuchsgebieten die Biotonne einzuführen, unter anderem in der Römerstraße. Nun galt es für die „Aktion Römer-Müll“, unsere Bevölkerung sorgfältig zu informieren: Was darf und soll in die Biotonne, was nicht? Dazu gab es viele „Römer-Blättchen“ und reichlich Austausch in Diskussionsrunden, die ein Interesse an einer möglichst guten, sortenreinen Befüllung der Biotonne wecken konnten. Das Ergebnis: Wir schnitten im Vergleich mit den anderen Versuchsgebieten recht gut ab. Und wir durften unsere Werbung für die Biotonne auf ein größeres Stück Schwabing ausweiten. Zu den wiederkehrenden Aktivitäten der „Aktion Römer-Müll“ in Zusammenarbeit mit der Stadt gehörte die Betreuung der Christbaum-Sammelplätze am Pündterplatz. Ruth Alice von Bismarck wies in unseren Weihnachts-„Römer-Blättchen“ jedes Jahr mit einem neuen Gedicht auf dieses Angebot der Stadt hin. Und wir kümmerten uns darum, dass die Christbäume vollends abgeschmückt und die Plätze sauber waren. Mit besonderem Eifer beteiligte sich die „Aktion Römer-Müll“ am Volksbegehren für DAS BESSERE MÜLLKONZEPT. Frau von Bismarck bastelte dafür einen wunderschönen großen Drachen, der bei unseren Umzügen durch die Straßen Schwabings Aufsehen erregte und Passanten zur Teilnahme an dem Volksbegehren anregte. Für das Volksbegehren wurde viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht, zumal es damals außer uns auch viele andere Müll-Initiativen gab. Und siehe da: Es wurden so viele Unterschriften gesammelt, dass es zu einem Volksentscheid kam, bei dem für Bayern DAS BESSERE MÜLLKONZEPT tatsächlich den Sieg davon trug. September 2018 Gertrud...

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Kunst: Lebensfreude und Ausdruckskraft

Klaus von Bismarck hatte das Glück, dass seine Mutter („Mumam“ Gertrud Koehn) und seine Großmutter („Gromi“ Anna Koehn) ausgeprägte Bezüge zur Musik, bildenden Kunst und Berliner Literaturszene hatten und diese somit früh Teil seiner Erlebniswelt wurden. Das konzertante Klavierspiel der Großmutter und eine lebendige Kammermusikkultur ließen in ihm den Wunsch entstehen, das Cello-Spiel zu erlernen, um selber Musik machen zu können. Seine Liebe zur Musik lebte er später jedoch eher als engagierter Förderer und durch sein Interesse an verschiedenen Musikrichtungen aus. Seine Mutter unterhielt vielfältige Kontakte zu Künstlerkreisen. Gerhard Marcks (1889-1981) zeichnete ein Porträt von ihr, das Klaus später in seinem Arbeitszimmer aufhängte. Er schätzte den Bildhauer Marcks sehr und blieb ihm persönlich verbunden. Schon früh füllte Klaus die freien Seiten seiner Schulbücher mit Skizzen von Tier-, Jagd- und Naturszenen sowie mit Bildern aus der griechischen Mythologie. Er versuchte besonders die Vitalität und Harmonie von Bewegung, welche genaue Kenntnisse der Anatomie voraussetzten, in seinen Skizzen festzuhalten. Später waren es seine Terminkalender und Notizbücher, die er mit solchen Motiven reich bebilderte. Von seinen vielen beruflichen Reisen brachte Klaus ausgewählte Objekte und Darstellungen mit, durch die er seine auch künstlerische Sicht auf die Dinge ausdrückte und die ihn in fordernden Lebensphasen „begleiteten“. So umgaben ihn in seinem Arbeitszimmer, „der Höhle“, poetisch-pittoreske Holzschnitzereien polnischer Volkskunst. Eher zufällig entdeckte Klaus während eines längeren Rehabilitationsaufenthalts in der Lauterbacher Mühle, die in der Nähe des Starnberger Sees liegt, in den 1980er Jahren seine Freude an der Gestaltung von Tonplastiken. Es waren zuerst geübte Motive seiner früheren Skizzen, die er dort unter Anleitung einer Künstlerin umsetzte. Doch schon bald entstanden komplexere Plastiken, zuweilen modellierte er ganze Szenen. Diese waren zwar nicht immer nicht bis ins letzte Detail realistisch ausgearbeitet, aber seine Objekte besaßen stets eine kreatürliche Sinnlichkeit und Bewegungsdynamik. Bald entstanden in schneller Folge neue Arbeiten. Auf Reisen musste ein Klumpen Ton, in feuchte Tücher gewickelt, mit in den Koffer. War kein Ton zur Hand, malte Klaus mit Wasserfarben auf einfachen Zeichenblöcken. Motive waren oft Szenen aus der Zeit seines Aufwachsens in Pommern: Räume, die Mutter an ihrem Arbeitstisch, vertraute Landschaften mit Wald, Wild und Pferden. Für seine Enkel entstand so ein Bilderbuch mit eigenen Texten und Aquarellen über seine Jugendzeit in Pommern zwischen den Weltkriegen. Die Hälfte des großen Familien-Esstisches in der Münchner Römerstraße nutzte Klaus des Öfteren als künstlerische Arbeitsfläche. Er arbeitete immer sehr konzentriert. Auch wenn er dabei Zuschauer hatte, ließ er sich nicht ablenken. Ein als Geschenk erhaltener Bildband über europäische Wildvögel, welcher detaillierte Darstellungen von Flugbewegungen enthielt, animierte Klaus, eine neue künstlerische Ausdrucksform zu versuchen: Aus bemalter Pappe, ausgeschnitten und dann kunstvoll dreidimensional zusammengesteckt, bastelte er Mobiles. Die Figuren, anfänglich vor allem geliebte Vogelarten wie Kraniche und Wildgänse, hing er an dünnen Drahtbügeln und Seidenfäden auf. Schnell wandelten sich jedoch die Motive, mitunter zu selbst erfundenen, witzigen, skurrilen Szenen. So entstand etwa ein Mobile mit fliegenden Klapperstörchen, die vor wütenden, mit Steinen nach ihnen werfenden Frauen flüchten und sich dabei endlos im Kreise drehen. Klaus genoss die Präsentation seiner neuen Werke, die, oft garniert mit einer guten Portion Schalk, viel von seiner Sicht auf das Leben und von seiner Lebensfreude ausdrücken. Spontan verschenkte er einzelne Werke an Bewunderer. Anlässlich von Jubiläen und oder Geburtstagen kam die erweiterte Familie in den Genuss seiner Kunstwerke. Dort trifft man heute immer noch auf sie, die in ihrer Ausdruckskraft und gleichzeitig humorvollen Leichtigkeit treffend an ihren Erschaffer erinnern. Vor allem in der letzten Lebenszeit nutzte er das künstlerische Arbeiten als Kommunikationsinstrument, da ihm die Sprache, mit der er sonst mit Worten plastische Bilder zu malen verstand, genommen worden war. Bei dieser Tätigkeit konnte er tief...

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Glauben: Gleiche Ziele, unterschiedliche Wege

Aufgewachsen in stabilen protestantischen Milieus, blieben Ruth-Alice und Klaus von Bismarck zeitlebens fest verankert im christlichen Glauben und dessen Werteordnung. Infolge der sie grundlegend erschütternden Erfahrungen mit Nationalsozialismus und Krieg verband beide nach 1945 eine dauerhafte und offene Suche nach neuen Wegen, als Christ aktive Verantwortung in der Welt zu übernehmen. Unterschiede im Glaubensverständnis und in den persönlichen Bedingungen führten allerdings zu differenziertem Handeln. „Der Mensch und die ihm anvertraute Schöpfung ist Teil der göttlichen Ordnung“, so beschreibt Sohn Klaus rückblickend das Glaubensverständnis seiner Mutter. „In dieser patriarchalischen Ordnung ist jeder ‚an seinen Platz‘ berufen, um die Verantwortung zu übernehmen und auszufüllen, die dieser Platz fordert. Die eigene Herkunft bestimmt die Aufgabe. Die eigene Kraft des Menschen reicht für diese ‚Mission‘ nicht aus. Daher erbittet man immer wieder vom Schöpfer zusätzliche Stärke, um diese Mission erfüllen zu können. Die Auseinandersetzung mit Gottes Wort, Andacht und Gebet helfen dazu, immer wieder neu die ‚Aufgaben‘ zu erkennen. Die umgebende christliche Gemeinschaft ist dazu eine notwendige Hilfe. Trotz allen Bemühens, den richtigen Weg zu erkennen und zu gehen, wird man schuldig an einzelnen Menschen und der Gesellschaft und bedarf daher der Vergebung. Dies Bewusstsein verhindert Hochmütigkeit und Selbstüberschätzung.“ An christliche Demut appellierte Klaus von Bismarck ebenfalls wiederholt. Im Unterschied zu seiner Frau betonte er jedoch von Anfang an deutlich stärker die Eigenverantwortung von Christen: „Er hat uns Kindern aber auch vermittelt“, erinnert sich Sohn Gottfried, „dass verantwortliches Handeln als Christ nicht allein aus dem Glauben abzuleiten ist. Glaube könne nur ein starkes ‚Geländer‘ sein für – dem eigenen Gewissen verpflichtetes – eben selbstverantwortliches Handeln.“ Offenkundig, so interpretiert dies Sohn Klaus, wirkte sich beim Vater die „kreatürliche, an der Schöpfung und das ganze Leben umschließende Glaubenskultur“ aus, die dieser als Kind in der pommerschen Heimat und bei seinen Schwiegereltern erfahren hatte. Dort hatten ihn nicht nur christliche Elemente, sondern auch bürgerliche Bildungskultur, landwirtschaftliche Betätigung, verantwortungsbewusste Gutsherrschaft und das Soldat sein stark geprägt. Kritik und Zweifel an so manchen kirchlichen Traditionen kamen Klaus von Bismarck früh, doch lernte er später „Kirche“ als Rahmen für anregenden und sinnstiftenden Austausch sehr schätzen. Gemäß seinem Glaubensverständnis sah er den einzelnen Christen dabei stets ‒ stärker als Kirchenleitungen ‒ in der Pflicht, sich gesellschaftlich und politisch zu engagieren. Engagement für Erneuerung von Kirche und Gesellschaft Im Bewusstsein der eigenen Begrenztheit und Schuld versuchten Ruth-Alice und Klaus von Bismarck nach 1945 an einem kontinuierlichen Prozess der Erneuerung von Kirche und Gesellschaft mitzuwirken. Beide zeigten sich tief beeindruckt von Dietrich Bonhoeffer, wobei Ruth-Alice sich früh und intensiv dem Leben und den Gedanken des von den Nationalsozialisten ermordeten Theologen widmete, während ihr Mann nach eigener Aussage erst später die Bedeutung Bonhoeffers für die Evangelische Kirche erfasste. Besonders die inspirierende Gemeinschaft in Villigst ließ bei Ruth-Alice und Klaus von Bismarck gemeinsam die Überzeugung reifen, dass die Zukunft von Christen nur in einer vitalen Ökumene liegen könne. Dabei widmete Ruth-Alice von Bismarck den theologischen Aspekten stärkere Aufmerksamkeit als dies ihr Mann tat. Während Klaus auf der Basis seiner beruflichen Position in Villigst mit der Gemeinsamen Sozialarbeit der Konfessionen eine erste überregional beachtete ökumenische Initiative mit auf den Weg brachte, musste sich Hausfrau und Mutter Ruth-Alice – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – zunächst noch weitgehend auf das direkte Umfeld ihrer Villigster Gemeinde beschränken. Ihr Bewegungsspielraum weitete sich spätestens mit dem Umzug nach Köln, als die acht Kinder selbstständiger wurden. Den Kreis christlicher Gemeinschaft wählte sich Ruth-Alice immer selbst, sie blieb nicht auf den Gemeindesprengel jenes Kreises, in dem sie wohnte, begrenzt. Vielmehr knüpfte sie zahlreiche Kontakte zu Juden, orthodoxen Christen und Katholiken in aller Welt, wobei ihr die eigene tiefe Verwurzelung im Glauben und...

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Kirchentag: Ort vielfältiger Inspirationen

Der von Reinold von Thadden-Trieglaff im Juli 1949 in Hannover initiierte Deutsche Evangelische Kirchentag war als ergänzendes Gegenüber zur verfassten Kirche angelegt. Laien und Theologen sollten dort auf der Basis des gemeinsamen Glaubens gleichberechtigt aktuelle Fragen der Welt diskutieren. Ruth-Alice und Klaus von Bismarck gehörten zu den frühen und dauerhaft aktiven Unterstützern der Initiative, wenngleich sie dabei differenzierte Wege gingen und zuweilen unterschiedliche Positionen einnahmen. Bewusste Meinungsvielfalt Kirchliche Leitungen verhielten sich zunächst überwiegend reserviert gegenüber der institutionell unabhängigen Laienbewegung. Pietistische Gruppen kritisierten unter dem Credo „Kein anderes Evangelium“ offen die pluralistische Konzeption. Doch Reinold von Thadden ließ sich davon nicht beirren. Er suchte geeignete Mitstreiter und bat u.a. seinen pommerschen Landsmann Klaus von Bismarck um Mitwirkung. Dieser willigte sofort ein. Gerade der offene, suchende Charakter des Kirchentages, orientiert an der theologischen Neubesinnung der Bekennenden Kirche, überzeugte ihn. Klaus von Bismarck bereitete den Essener Kirchentag 1950 mit vor und übernahm in der Folgezeit an vielen führenden Stellen Verantwortung: zunächst als Mitglied im Präsidialausschuss, von 1955 bis 1995 im Kirchentagspräsidium und 1979 auch als Präsident; ferner als Leiter von Arbeitsgruppen, als Moderator von Diskussionen und als Referent. Angeregt durch sein paralleles Engagement im Weltkirchenrat setzte sich Klaus von Bismarck früh für eine internationale und ökumenische Orientierung des Kirchentages ein. Mitte der 1970er Jahre stagnierten viele ökumenische Bemühungen, besonders zwischen katholischen und evangelischen Kirchenleitungen. In dieser Zeit wandelte sich die protestantische Laieninitiative deutlich vom Zuhör- zum Mitmachkirchentag, wofür der neu eingeführte „Markt der Möglichkeiten“ ein Sinnbild wurde. In der Folge wirkten vermehrt kirchliche Gruppen mit, die sich überwiegend aus gemischtkonfessionellen und oft sogar aus der Kirche kritisch-distanziert gegenüberstehenden Jugendlichen zusammensetzten und politische Ziele verfolgten. Klaus von Bismarck begrüßte sie in einer zeitgenössischen Stellungnahme nicht zuletzt als ökumenisches Korrektiv und lobte die mit ihnen verbundene „wichtige Bluttransfusion“ im Rahmen der seines Erachtens weiterhin notwendigen kirchlichen Erneuerung. Der Kirchentag blieb ein Motor des ökumenischen Dialogs. Ruth-Alice von Bismarck engagierte sich stark an der kirchlichen Basis, wo sie gemeinsam mit Gleichgesinnten neue theologische und darauf aufbauend politische Einsichten zu gewinnen versuchte. Zu einzelnen Fragen formulierte sie dabei später andere Antworten als ihr Mann. Als etwa 1987 die „Frauen gegen Apartheid“ vom Kirchentag forderten, die Konten bei der Deutschen Bank zu kündigen, da diese intensiv mit dem südafrikanischen Apartheid-Regime kooperiere, unterstützte sie die Initiative, ihr Mann lehnte sie dagegen ab. Ruth-Alice von Bismarck war nach jahrelangen Diskussionen über das Thema in kirchlichen Basisgruppen, zuletzt auf dem Kirchentag 1985 in Düsseldorf, zur Überzeugung gelangt, man müsse endlich ein konkretes Zeichen setzen gegen das Unrecht der Apartheid. Klaus von Bismarck war ebenso wie Richard von Weizsäcker und weitere prominente Präsidiumsmitglieder aus prinzipiellen Erwägungen dagegen, dass der Kirchentag sich dem Druck einer bestimmten Gruppe beugt. Mit ähnlicher Begründung hatte Klaus von Bismarck vor dem Kirchentag 1979 verhindert, dass die umstrittene Theologin Dorothee Sölle wieder ausgeladen wurde. Mit hauchdünner Mehrheit votierte das Präsidium 1987 für die Kündigung der Bankkonten. Später stimmte das Ehepaar überein, dass beide Positionen ihre Berechtigung haben. Neue Wege und Einsichten Der Kirchentag fand von Beginn an großen Zuspruch. Ähnlich wie viele andere Teilnehmer zeigten sich beide Bismarcks 1950 in Essen beeindruckt, dass es der Versammlung gelang, einen hoffnungsvollen Kontrapunkt zur NS-Vergangenheit zu setzen: „Man hatte diese Massenversammlungen“, so Ruth-Alice von Bismarck, „noch von den Nazis in Erinnerung und plötzlich war es genauso. Ein Stadion voller Menschen, aber diesmal eben nicht nationalsozialistisch, sondern christlich. Das war überwältigend, diese Erstlingserlebnisse in einer neuen Freiheit.“ Auch für ihren Gatten Klaus war dies eine bewegende Erfahrung, wie er in seinen Memoiren schildert: „Noch wenige Jahre zuvor waren in diesem Stadion Nazilieder gesungen worden. Der Vergleich, der noch frisch in der...

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