Leben im Schatten des Krieges

Slider

 

In den ersten Kriegsjahren änderte sich für die Menschen im heimatlichen Jarchlin offenbar wenig. Erst nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 wurden auch hier Schritt für Schritt die Folgen deutlicher spürbar: immer mehr Männer mussten Kriegsdienst leisten, Frauen wurden an der „Heimatfront“ in Dienst genommen, Ausgebombte und Kriegsgefangene sorgten in vielen Häuser für drangvolle Enge, Nahrungsmittel wurden knapp. Anfang 1945 begann eine dramatische Flucht vor der heranrückenden Roten Armee.

„Als der Polenfeldzug so schnell zu Ende ging, hofften wir alle, nun wäre alles überwunden. Aber es ging weiter. Es häuften sich böse, unrechte Dinge im Innern, und mehr und mehr schwand das Vertrauen auf ein erträgliches Ende“, erinnerte sich Gertrud von Bismarck, geborene Koehn, später an das Mitbangen der Familienmitglieder seit Kriegsbeginn am 1. September 1939. Neben vielen männlichen Familienmitgliedern erhielten im Laufe des Krieges auch der Jarchliner Lehrer Burow und Pfarrer Wurms ihren Einberufungsbefehl. Mehrere Gemeindemitglieder wechselten sich anschließend, misstrauisch beäugt von den Genossen der NSDAP, mit der Leitung der Gottesdienste ab. Ruth-Alice von Bismarck übernahm in der Dorfschule als Aushilfslehrerin den Unterricht. Die Konfirmandenstunden teilte sie sich mit der Schwiegermutter, die später zudem als Aushilfskrankenschwester tätig war, zuletzt in einer Kinderklinik in Berlin-Nikolassee.

Ruth-Alice und Klaus von Bismarck sowie vorne im Auto Ruth und Hans von Wedemeyer
Slider

Zwischen Herbst 1942 und Sommer 1944 half Klaus von Bismarck mehrmals über längere Zeiträume bei der Bewirtschaftung der heimischen Güter der Familie. Möglich geworden war dies durch eine monatelange UK-Stellung im Tausch mit Werner Liebrecht, der zuvor die Güter geleitet hatte, und durch mehrere Fronturlaube. Größere Probleme bei der Bewirtschaftung sind nicht bekannt geworden. Zwangsarbeiter ersetzten damals wie nahezu überall im Deutschen Reich einen Teil des fehlenden Personals. Als Klaus wieder an die Ostfront beordert wurde, waren alle vier Söhne – außer Klaus auch Philipp, Günther und Gottfried sowie der Schwiegersohn von Gertrud von Bismarck – im Kriegsdienst. Die Hauptverantwortung für die Güter lag nun erneut bei den Frauen, von denen viele in der Feldarbeit „ihren Mann“ stehen mussten.

Spätestens im November 1944 litt dann auch das ländliche Pommern stärker unter den Auswirkungen des Krieges: „Unsere Häuser waren voll besetzt mit Flüchtlingen aus den zerbombten Städten, die Zwangsbewirtschaftung aller Lebensmittel war auch bei uns auf dem Lande unangenehm fühlbar, weder Fleisch noch Milch durfte frei verbraucht werden. Die Arbeit draußen und in den Ställen mußten wir mit Ukrainern und Italienern schaffen, es waren fast alle Männer an der Front“, blickte Gertrud von Bismarck später zurück und erinnerte sich, wie sich die Versorgungssituation zuspitzte: „Eine Tüte Stückenzucker mit einem Vers dazu, eine Dose Nescafe aus Österreich waren Weihnachten 44 königliche Geschenke.“ Gefeiert wurde 1944 das letzte Weihnachtsfest im Kniephofer Gutshaus unter einem Kruzifix, das Klaus von Bismarck während des Fronteinsatzes gefunden und nach Hause geschickt hatte. Es sollte später in der Kapelle in Villigst hängen.

Seit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion und dem Kriegseintritt der USA 1941 wurde eine militärische Niederlage der Wehrmacht immer wahrscheinlicher. Diese Erkenntnis setzte sich aber erst allmählich durch. In der Bevölkerung begann mit der deutschen Niederlage in der Schlacht um Stalingrad Anfang Februar 1943 ein deutlicher Stimmungsumschwung: Immer weniger glaubten nun an einen „guten Ausgang“ des Krieges für Deutschland. Anscheinend rechnete man in der Familie von Bismarck zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht mit allzu dramatischen Folgen. So bat damals Klaus von Bismarck Beamte im Berliner Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft zu sondieren, ob ein Familienmitglied im besetzten Reichsgau Wartheland (Polen) ein Gut erwerben könne. Spätestens ab Sommer 1944 machten sich Klaus und seine Brüder Philipp und Günther dann auf eine verheerende Niederlage gefasst. Sie informierten die Familienmitglieder zuhause, dass die Rote Armee nach ihrer Einschätzung bestenfalls an der Oder gestoppt werden könnte. Anfang 1945 kehrte Klaus von Bismarck für ein paar Stunden von der Front nach Kniephof zurück, um auf die unvermeidbare Flucht hinzuweisen und einige Anweisungen zu deren Vorbereitung zu geben. Tausende durchziehende Flüchtlinge aus den Ostgebieten taten ein Übriges, den Familienangehörigen und den Dorfbewohnern den Ernst der Lage vor Augen zu führen.

Die hochschwangere Ruth-Alice wurde mit ihren beiden Kindern, „Dane“, zwei Hausangestellten und einem Kutscher zuerst losgeschickt. Ziel war das Gut von Verwandten im westfälischen Oberbehme. Anfang März setzten sich die letzten Trecks aus Jarchlin und Kniephof in Bewegung. Gertrud von Bismarck erinnerte sich, wie damals ihre Wagen beim Aufbruch von russischen Tieffliegern beschossen wurden und sich ihnen russische Soldaten danach wiederholt bis auf Hörweite näherten. Mit viel Glück gelang auch ihr die Flucht via Berlin nach Schleswig-Holstein. Erst später habe sie erfahren, dass viele Bauern aus Jarchlin trotz der Warnungen zu lange gezögert hatten und nicht mehr rechtzeitig losgekommen waren.

Bild ist nicht verfügbar
Bild ist nicht verfügbar
Bild ist nicht verfügbar
Bild ist nicht verfügbar
Bild ist nicht verfügbar
Bild ist nicht verfügbar
Bild ist nicht verfügbar
Arrow
Arrow
Klaus sen. mit Sohn Hans, ca. 1944
Slider