Eine unkonventionelle Großfamilie

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Christian von Bismarck: Der Umzug der Eltern mit uns acht Kindern 1961 von Villigst nach Köln stellte für alle eine bedeutende Veränderung dar: Vom Land in die Stadt, von einer eher evangelisch wie auch studentisch geprägten Umgebung in den wohlhabenden katholischen großbürgerlichen Stadtteil Marienburg.

Auf einer auf die Esszimmerwand aufgemalten Karte erläuterte Klaus von Bismarck seinen Kindern und Gästen gern Lage und Aufbau von Kniephof und Jarchlin
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Wir Kinder genossen den Wechsel von einem vergleichsweise kleinen Haus in Villigst, in dem wir zu viert in einem Schlafzimmer in Stockbetten schlafen mussten, endlich in ein großes Haus mit genügend Schafzimmern für alle Kinder und weitläufigen Gesellschaftsräumen im Erdgeschoss und einem eigenen kleinen Garten. Es gab einen eigenen abgetrennten Elternteil im ersten Obergeschoss mit der sogenannten Höhle für unseren Vater, einem eigenen Schlafzimmer für meine Mutter, einer großen Terrasse und einem Elternbad. Die „Höhle“ mit eigenem Kamin, die häufig als zweites Wohnzimmer genutzt wurde, erschien uns Kindern viel gemütlicher als die großen Wohnzimmer im Erdgeschoss. Das Untergeschoss wurde später zu einem Jazz-Keller ausgebaut mit vielen Besuchern, welche ohne Anmeldung durch die im wahrsten Sinne offene Haustür gleich in den Keller gehen konnten. Aber dazu später mehr.

Ein weiterer Ausdruck eines scheinbar sichtbaren Wohlstandes bestand in einem großen meist grünen WDR-Dienstwagen mit den von uns sehr geschätzten Chauffeuren Herrn Bohley und ‒ nachdem dieser pensioniert wurde ‒ später mit Herrn Haschke.

Die soziale Eingliederung in das Viertel Marienburg gelang uns Kindern aus drei Gründen außergewöhnlich schnell: Obwohl wir deutlich nicht zum wohlhabenden lang eingesessenen Großbürgertum Marienburgs gehörten, half sicher die öffentlichkeitswirksame Berufung meines Vaters zum WDR-Intendanten, um uns dennoch ein gewisses Ansehen zu verschaffen.

Als Familie mit acht Kindern und einem ausgesprochen offenen Elternhaus, in das auch Freunde von uns Kindern und den Eltern immer gern willkommene Gäste waren, stellte dieses Lebensmodell eine absolute Rarität im Viertel Marienburg dar. Auf unsere neugierigen Besucher, welche wir oft spontan zum Essen mitbrachten, wirkte dieses Mischung aus Vertretern aller Altersgruppen (von der 1959 geborenen Schwester Maria bis zur etwa 100-jährigen Dane) offensichtlich äußerst attraktiv.

Fräulein Neumann ‒ als unsere ebenfalls emotional zur größeren Familie gehörenden Köchin ‒ hatte in Haus Villigst bereits für hunderte Studenten gekocht und kannte dadurch alle Tricks, wie das Essen auch für zusätzliche Personen schnell noch „verlängert“ werden konnte. Es dauert nicht mal ein Jahr, dann wussten wir alle fast von jedem Haus im Stadtteil Köln-Marienburg, wer ‒ wenn es dort Kinder gab ‒ in diesem Haus wohnte.

Es half aber auch das steigende Ansehen meiner Mutter, welche jedoch so anders war und aus einer anderen Welt kam als die feinen gebildeten Damen mit ihrem „französischen Tees“, bei der sich wöchentlich Marienburger Frauen trafen, um sich gebildet auf Französisch zu unterhalten. Unsere Mutter blieb bis zum Schluss der Kölner Zeit aus deren Sicht eine Wunderblume, welche jedoch wegen ihres vielfältigen sozialen und kirchlichen Engagements und ihrer Ausstrahlung durchaus auch bewundert wurde. Sie wich mit ihrem ausgesprochenen Desinteresse an weiblichen Themen wie Mode, Frisuren, Make-up, Fitness sowie an allen materiellen Themen deutlich ab vom Üblichen, was neben einem Belächeln viele auch neugierig machte. Schließlich hatte sie in ihrem vielfältigen starken sozialen Engagement und Interesse an geistigen Themen auch interessante Inhalte und Initiativen zu bieten, welche im eher konservativen Umfeld zumindest immer für beachteten kontroversen Gesprächsstoff sorgten.

Die Bismarck-Kinder mit ihrer Band Bobys Jazz Group. Fernant Roberts, Michael Schmid, Gregor Haber sowie Hans, Ernst und Frieder von Bismarck
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In die sogenannte Kölner Zeit fiel die Phase der aufkommenden Pubertät parallel zur aufkommenden 68er-Bewegung. Wir sind unserer Mutter durchaus dankbar, dass sie den später sehr fruchtbaren Anstoß übernahm, Theatergruppen mit gleichaltrigen Jugendlichen aus dem Viertel Marienburg zu gründen. Das wurde auch von den übrigen Eltern sehr begrüßt. Zunächst entstand aber eine Gesangsgruppe für Gospel- und Spirituals mit Herbert Born, welcher als Gitarrist auch in der Band von Bobby Odenbach mitspielte, die regelmäßig in unserem Keller übten. In dieser Dixieland-Jazz-Band spielten fast alle Brüder entweder als Schlagzeuger, Trompeter, Klarinettist oder Banjospieler zeitweilig mal mit.

Damit die jüngeren Geschwister auch an den Festen der älteren teilnehmen konnten, bedurfte es eines wirkungsvollen Tricks mit Hilfe unserer Mutter: Die jüngeren mussten etwas vorführen, einen Song oder eine Theaterszene. So durften wir kleineren Geschwister beispielsweise die „Rüpelszene“ aus dem Sommernachtstraum von Shakespeare aufführen oder den Song: „Wir sind süß aber doof, doch die Herrn in Luzern hab‘n das gern“.

In den elf Jahren in Villigst hatten ‒ ohnehin relativ selten ‒ nur die vier großen Brüder Paddeltouren in der Umgebung mit dem Vater unternehmen dürfen. Das änderte sich in Köln, denn zu unserer großen Freude waren die vier kleineren Geschwister nun mit von der Partie. Sommerferien mit den Eltern und deutlich mehr Kindern wurden unternommen an den Luganer See, den Lago Maggiore und zum Ende der Kölner Zeit auch mehrfach nach Cadaqués an der Costa Brava in Katalonien/Spanien. Diese Reisen mit dem ### stellten für uns Kinder nicht gekannte Vergnügen dar. Das Wesentliche für uns Kinder waren dabei die vollständig gemeinsam verbrachten Tage und Ferienwochen, also Schwimmen, Wasserskilaufen, Wanderungen und Vieles mehr zusammen mit unseren Eltern zu erleben.

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Klaus und Ruth-Alice bei Klaus' Schwester Medinge in Montabaur, vermutlich 1966
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