Klaus von Bismarck liebte Musik. Doch sie war für ihn weit mehr als eine Kunst, die dem Genuss dient. Sie besaß für ihn auch eine pädagogische, verbindende und viele weitere Impulse gebende Dimension. Als Intendant des WDR nutzte er Musik als soziales und politisches Instrument, um in der Gesellschaft gegenseitige Toleranz zu fördern und um für Verständigung mit den östlichen Nachbarn zu werben. Seine Offenheit für verschiedene Musikrichtungen bereicherte ihn persönlich, bestimmte Lieder wurden ihm nach eigener Aussage zu Klangbildern für wertvolle Prägungen, Einsichten und Erfahrungen.
Schon das Elternhaus öffnete Klaus von Bismarck die Tür zur Musik. Besonders Mutter Gertrud und Großmutter Anna Koehn trugen zu einer reichhaltigen Musikkultur auf Kniephof bei. Die Bezüge der Mutter zur bürgerlichen Berliner Musikszene und das Klavierspiel der Großmutter sorgten dabei für eine Orientierung an Qualität und für eine gewisse Vielfalt. So wurde Klaus von Bismarck früh vertraut mit klassischer und Kirchenmusik, später kamen neue Richtungen wie Jazz hinzu.
Im jungen Klaus von Bismarck weckten die heimischen Erfahrungen mit Musik das Bedürfnis zum eigenen Cello-Spiel, das aber nicht sehr weit gedieh. Die tröstende, befreiende und stimulierende Wirkung von Musik erlebte er anschließend in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen: Unter anderem dankbar-besinnlich bei Weihnachtsfeiern im und kurz nach dem Krieg, ideologische Grenzen überwinden helfend während der Jugendhofarbeit in Vlotho und kraftvoll die Gemeinschaft fördernd auf Kirchentagen. Als Intendant des WDR avancierte er dann zum engagierten Förderer von Musik.
Die Kölner Senderanstalt machte ihm dies leicht, da sie bei von Bismarcks Amtsantritt 1961 nicht nur mit einem breiten Programmangebot im Bereich Musik aufwartete, sondern sich zudem auf dem Gebiet der Neuen Musik internationale Anerkennung erworben hatte. Bereits 1951 waren das weltweit erste Studio für Elektronische Musik einer Rundfunkanstalt gegründet und die Reihe „Musik der Zeit“ eingeführt worden. Dies ließ den WDR nach 1945 zu einem frühen Förderer avantgardistischer Musik unter den deutschen Rundfunkanstalten und das Rheinland zu einem international richtungsweisenden Zentrum für solche zeitgenössische Musik werden.
Als Intendant trug Klaus von Bismarck bewusst zum Ausbau des gewonnenen Images bei und setzte es für politische Zwecke ein, speziell für die von ihm an vielen weiteren Stellen unterstützte deutsch-polnische Verständigung. Unter seiner Führung vergab der WDR „als Beitrag zur deutschen Aussöhnung mit Polen“ (Björn Gottstein in: Musik der Zeit, S. 84) einen Kompositionsauftrag an den Professor und späteren Rektor der Musikakademie Krakau, Krzysztof Penderecki. Er hatte sich kurz zuvor einen internationalen Namen in der Neuen Musik gemacht. Die Uraufführung der aus dem WDR-Auftrag resultierenden Lukas-Passion im St.-Paulus-Dom zu Münster (1966) wurde ein „Politikum und Welterfolg“ (Rainer Peters in: Musik der Zeit; S. 42). Musikalisch ist die Komposition ein Schlüsselwerk der Neuen Musik, politisch untermauerte es die Bestrebungen des Intendanten von Bismarck, beginnend mit Polen den Eisernen Vorhang durchlässiger machen zu helfen.
Der Leiter der Redaktionsgruppe Neue Musik im WDR, Otto Tomek, resümierte unmittelbar vor Unterzeichnung des deutsch-polnischen Grundlagenvertrages am 7. Dezember 1970: „Man kann sagen, daß wir mit Hilfe der Musik bei der Vorbereitung des deutsch-polnischen Dialoges stillschweigend und ohne große Propaganda doch wohl wirksam vorgearbeitet haben, auch zu Zeiten, wo der kalte Krieg einem ziemlich ins Gesicht blies.“ Intendant von Bismarck gehörte zur handverlesenen deutschen Delegation, die Bundeskanzler Willy Brandt zur Vertragsunterzeichnung in Warschau begleiten durfte.
Auf den Geschmack des breiten Publikums traf Neue Musik jedoch nicht. „Werke von [Krzysztof] Penderecki, [Karlheinz] Stockhausen, [Mauricio] Kagel und [Bernd Alois] Zimmermann, die der Westdeutsche Rundfunk z. B. nicht ohne Stolz als ‚seine‘ Musikautoren ansieht, werden auch den Hörern des allgemeinen Programms zugemutet“, beschrieb von Bismarck 1971 auf einer internationalen Hörfunk-Konferenz in Helsinki einen generellen Grundsatz seiner Rundfunkpolitik. Mit solchen „Zumutungen“ wollte er nach eigener Aussage ein breiteres Publikum für qualifizierte Musik gewinnen. Von Bismarck wusste sich hier im Einklang mit seinen führenden Redakteuren. In der Folge bot der WDR ein vielfältiges Musikprogramm an, dass auch weit über die damalige, anfangs umstrittene Pop-Musik hinausging.
Mit ausgewählten Beiträgen für und von Minderheiten, die bewusst zu Hauptsendezeiten ausgestrahlt wurden, versuchte der Intendant zudem bewusst, aktuelle gesellschaftliche Fragen aufzugreifen: „Die Schwierigkeiten, die Jugend und Alter in der Gesellschaft heute ganz allgemein miteinander haben, finden also bei uns ihre Entsprechung in den Programmen der Rundfunkanstalten und in den Reaktionen der Hörer. Ich finde, das muß so sein! Hier kann nicht ausgewichen werden, auch wenn gelegentlich für die Alten und die Konservativ-Bürgerlichen (das ist nicht in allen Fällen dasselbe!) die Grenze des Zumutbaren bei diesen Minderheiten-Sendungen überschritten scheint“, so von Bismarck in Helsinki. Eine scharfe Trennung zwischen unterhaltenden und speziellen Programmen, wie sie andere Sender praktizierten, lehnte Intendant von Bismarck strikt ab.
Parallel rang der WDR jedoch um die Gunst des jugendlichen Publikums. Hier hatten inzwischen andere Sender die Nase vorn. Die Kölner Rundfunkanstalt setzte 1973 eine sogenannte Reformkommission ein, die Abhilfe schaffen sollte. Im Dezember jenes Jahres startete WDR 2 die „Radiothek“, die bei Jugendlichen bald Kultstatus erreichte. Die zweistündige Wort-Musik-Sendung spielte populäre Musik und griff Themen auf, die Jugendliche besonders bewegten. Sie ließ diese dabei auch selbst zu Wort kommen.
Lange Zeit war der Hörfunk das bevorzugte Medium bei Jugendlichen. Mit Sendungen wie „Hitparade“ (ab 1969) und „Disco“ (ab 1971) gewann das ZDF im Musikbereich jedoch bald wichtige Marktanteile. Der WDR etablierte mit „Rockpalast“ ab 1974 eine hoch gelobte und bei jungen Zuschauern beliebte Sendung im WDR-Fernsehen. Drei Jahre später sollten die „Rockpalast Nächte“ aus der Essener Gruga-Halle per Eurovision Anhänger in ganz Europa finden.
Die Förderung von Musik durch den WDR hatte ihren Preis – im wörtlichen Sinn. Die Einführung der Stereophonie war eine kostspielige Angelegenheit. Nichtsdestotrotz trieb Klaus von Bismarck sie nach Rücksprache mit seinen Redakteuren in den 1960er Jahren entschlossen voran, auch gegen Widerstände. Letztere gab es vor allem in den Gremien des WDR. Vor entsprechenden Sitzungen stellte der Intendant den betreffenden Abteilungen im Haus Fragen nach Finanzierung, Ausgestaltung, Profilierungschancen und Ähnlichem und brachte die Ergebnisse in den Verwaltungsrat ein. So verschaffte er sich selbst eine gute Expertise und förderte gleichzeitig das „Wir“-Gefühl im Sender. Viele Entscheidungen, besonders auch im Bereich der Musik, traf er gemäß den Empfehlungen von sachkundigen Mitarbeitern wie Otto Tomek oder Hörfunkdirektor Fritz Brühl.
Wiederholt eine materielle Herausforderung war die Förderung speziell der Neuen Musik. Karlheinz Stockhausen, der langjährige künstlerische Leiter des Studios für Elektronische Musik, war ein selbstbewusster und fordernder Komponist, zugleich aber nicht immer einfach im persönlichen Umgang. Vor schwierigen Mitarbeitern hatte Intendant von Bismarck allerdings keine Scheu und förderte sie, sofern sie fachlich brillierten. Unter seiner Leitung gab es im WDR viele solcher „kantigen“ Köpfe, wodurch der Sender sein Profil schärfte.
So unterstützte Klaus von Bismarck, jeweils nach sorgfältiger Abwägung von finanziellen Risiken und möglichem Imagegewinn, auch wichtige Forderungen Stockhausens wie jene nach technischer Erneuerung des Studios zu Beginn der 1970er Jahre. Das Studio in Köln blieb ein Mittelpunkt der einschlägigen internationalen Musikszene. Die kostspielige Vorbereitung des deutschen Beitrages zur Weltausstellung im japanischen Osaka 1970 erhielt ebenfalls die Unterstützung des Intendanten. Die elektroakustischen Kompositionen im eigens für Stockhausens musikalische Vorstellungen errichteten deutschen Pavillon wurden eine Attraktion der Weltausstellung.
Ungeachtet solcher Erfolge litt gelegentlich auch die Musikabteilung unter den zu dieser Zeit eskalierenden politischen Auseinandersetzungen um den angeblichen „Rotfunk WDR“. Diese Kontroversen führten zwar 1976 zum Verzicht Klaus von Bismarcks, erneut für das Intendantenamt zu kandidieren, seine Liebe zur und seinen Umgang mit Musik tangierten sie aber nicht. In der WDR-Hörfunksendung „Musik meiner Wahl“ ließ er 1989 seine sehr persönliche Verbindung zu bestimmten Liedern und Stücken ganz unterschiedlicher Musikrichtungen Revue passieren. Es entstand, erläutert von ihm selbst, ein musikalisch illustrierter biografischer Rückblick, der nicht zuletzt die Offenheit für Neues und die pluralistische Grundüberzeugung des „Autors“ bezeugt.
Literaturtipp: Frank Hilberg / Harry Vogt (Hrsg.): Musik der Zeit 1951-2001. 50 Jahre Neue Musik im WDR. Essays – Erinnerungen – Dokumentation, Köln (WDR) 2002.