Kindheit und Jugend in Zeitenwenden

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Pätzig 1920-1939: Deutschland erlebte nach der Revolution und dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918/19 politisch und wirtschaftlich außerordentlich schwierige Jahre. In dieser Zeit wurde Ruth-Alice von Bismarck in ein protestantisch-konservatives, noch von der untergegangenen Monarchie geprägtes Elternhaus geboren. Behütet aufgewachsen in der größer werdenden Familie, lernte sie als ältestes Kind frühzeitig Verantwortung zu übernehmen. Sie erlebte in ihrer Schulzeit in Stift und Privatschule den Übergang von der Weimarer Republik zur nationalsozialistischen Herrschaft.

Ruth-Alice kam am 3. März 1920 auf Gut Pätzig bei Königsberg in der Neumark auf die Welt. Sie war das älteste Kind des Großgrundbesitzers und preußischen Staatsbeamten Hans von Wedemeyer und seiner Ehefrau Ruth, geborene von Kleist-Retzow. Es folgten die Geschwister Maximilian (1922), Maria (1924), Hans Werner (1927), Christine (1929), Werburg (1932) und Peter Christian (1936). Die Kindheit erlebte Ruth-Alice als „friedliches Geborgensein in der Familie“. Die Eltern hielten die älteste Tochter früh dazu an, Verantwortung zu übernehmen. Sie wurde für die jüngeren Geschwister die „Gouvernante“, wie sie sich selbst in einem Interview bezeichnete:

„Wir waren eine hierarchische Familie, in der die beiden Ältesten noch eine ganz große Rolle spielten, weil sie die Ethik der Eltern weitergeben mussten. Das führte dazu, dass ich lange Zeit überhaupt nicht darüber nachdachte, wer ich selber war, ich bestand eigentlich aus einer Aufgabe.“

Trotzdem wurde dem zwei Jahre jüngeren Sohn Max die Aufgabe des Ältesten übertragen. Er erhielt schon als Fünfjähriger eine Ulanenuniform:

„in den alten Farben dunkelblau und orange. Diese Uniform bedeutete für Max eine unglaubliche Prägung. Davon war ich nicht betroffen, aber es war ganz klar, dass ich den Kleinen immer sagte, was sie machen sollten.“

Ruth von Wedemeyer mit Tochter Ruth-Alice, ca. 1922
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Elternhaus

Das Elternhaus war bestimmt von der Frömmigkeit der Berneuchener Bewegung, einer nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen evangelischen Bewegung, der Hans von Wedemeyer angehörte. Die von beiden Eltern vorgelebte Frömmigkeit prägte auch die junge Ruth-Alice.
Der Gutsherr war zugleich der Patron der Kirche. Die christlich-religiöse Einstellung bestimmte auch das Verhältnis zu den Gutsarbeitern, wie sich Ruth-Alice erinnert:

„Meinen Vater kann man nur vom Lehensgedanken her verstehen: Der Besitz war kein Besitz, sondern ein anvertrautes Lehen […]. So war die Bewährung an dieser Stelle für meinen Vater auch etwas Lebenswichtiges. Es war aber auch eine Schöpfungsverbundenheit aller Menschen, die auf diesem Land arbeiteten. Es lag noch eine Verwurzelung darin, dass dies ein von Gott anvertrautes Land war […], also gab es eine gemeinsame Ethik mit allen Gutsarbeitern. Dies wurde durch die Frömmigkeit meiner Mutter unterstützt. Es gab keine Geburt, zu der sie nicht erschien, auch keinen Tod im Dorf. 40 oder 60 Familien lebten in dem Dorf.“

Welchen hohen Stellenwert die Pätziger Dorfkirche für die Eltern besaß, wird daran deutlich, dass sie zugunsten der Kirchenrenovierung auf eine Modernisierung der Sanitäranlagen im Gutshaus verzichteten. Ruth von Wedemeyer über die renovierte Kirche:

„Ein wunderschöner und fröhlicher Raum war geschaffen. Die Einweihungsfeier fand am 31.8.1939 statt. Rückschauend muss man wohl diese beiden hohen Festtage [Hochzeit Ruth-Alice am 15.7.1939] als den Höhepunkt unseres Lebens in Pätzig schlechthin ansehen. Dies Werk an der Kirche, das Hans als das wichtigste seines Lebens und ihm liebstes empfand, war abgeschlossen.“

Das Pätziger Krippenspiel, das jedes Jahr vor Weihnachten mit Familienmitgliedern und Gutsangestellten neu einstudiert wurde, bildete das „Hauptgeschehen“ im religiösen Leben der Familie.

Schulbildung

Ruth-Alice erhielt eine für die damalige Zeit nicht selbstverständlich gute Schulbildung bis zum Abitur, zuerst in Pätzig bis zu ihrem 13. Lebensjahr, dann bis zur Untersekunda in dem Thüringer Adeligen Stift Altenburg, einem renommierten Institut, in das der evangelische Adel seine Töchter schickte, und wo sie 1934 konfirmiert wurde. An die Qualität des Schulunterrichts in Altenburg erinnerte sich Ruth-Alice so:

„Es war eine christliche Bildung, und die Qualität des Unterrichts war so gut, wie ich sie später nicht mehr erlebt habe. Evangelisch und Bildung gehört zusammen, mit diesem Ethos und der Notwendigkeit, immer wieder neu für nur zwei Schuljahre verpflichtet zu sein, kam ein Unterricht mit erstaunlicher Qualität zustande“.

Die Vorbereitung auf das Abitur, das sie 1937 auf der Privatschule Salem in Stettin ablegte, machte einen erneuten Ortswechsel notwendig. Um die Unterbringung in einem Internat zu vermeiden, die bereits mehrheitlich von der NS-Regierung überwacht und nationalsozialistisch beeinflusst waren, logierte Ruth-Alice – wie ihre Cousins und Cousinen – bei ihrer Großmutter Ruth von Kleist-Retzow in Stettin. Diese führte in ihrer geräumigen Wohnung eine „Enkelpension“.  Bei ihrer Großmutter machte Ruth-Alice auch die Bekanntschaft mit Dietrich Bonhoeffer, der in Finkenwalde [heute Zdroje] das Predigerseminar der Bekennenden Kirche leitete und der sich später mit ihrer Schwester Maria verlobte.

 

Die Zitate sind einem Interview entnommen, das Dr. Josef Schmid mit Ruth-Alice von Bismarck am 20.4. und 11.5 2006 geführt hat. Redaktionelle Bearbeitung Christine Schatz.
Zitat Ruth von Wedemeyer: Ruth von Wedemeyer: In des Teufels Gasthaus, S. 88 (siehe Auswahlbibliographie).

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Ruth
von Wedemeyer
Hans
von Wedemeyer
Mietze
von Kleist-Retzow
Hans-Jürgen
von Kleist-Retzow
Spes
Stahlberg
Herbert
von Bismarck
Maria
von Bismarck
Großmutter Ruth
von Kleist-Retzow
Alexander
Stahlberg
Ruth Roberta
Stahlberg
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Ruth-Alice und Maximilian, ca. 1924
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