Adelige Großfamilien mit Eigensinn und Tradition

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Die Familien von Bismarck und von Wedemeyer gehörten dem ostelbischen Landadel an. Konservative Traditionen prägten Mitglieder beider Familien ebenso wie Brüche mit überkommenen Denk- und Verhaltensweisen. Die jeweiligen Ausgangspositionen und der jeweilige Umgang mit den Veränderungen aber unterschieden sich. In diesem dynamischen Spannungsfeld ihre eigene Rolle, ihre eigene Identität immer wieder neu zu finden, sollte spätestens für die Generation von Ruth-Alice und Klaus von Bismarck eine unausweichliche Aufgabe werden.

In der erst 1902 in den Adelsstand erhobenen Familie von Wedemeyer scheint die Tradition einer starken Einheit von „Krone und Altar“ lange prägend gewesen zu sein: „Der Wappenspruch der Familie von Wedemeyer ‚dietat pietas et servata fides‘ – ‚fromm sein und Treue halten‘ stand in besonderer Weise über dem Leben von Hans und Ruth von Wedemeyer“, schreibt Klaus von Bismarck über seine Großeltern. Eine tiefe Treueverpflichtung gegenüber der gewachsenen politischen und gesellschaftlichen Ordnung sei ihnen zu eigen gewesen. Wie schon die Urgroßeltern hätten Hans und Ruth von Wedemeyer im Bewusstsein gelebt, für das anvertraute Land, die Familie und das Gemeinwesen Gott gegenüber in persönlicher Verantwortung zu stehen:

„Ruth-Alice war nicht nur die älteste der sieben Kinder, sondern dem Vater auch in besonderer Weise geistig verbunden, der Anfang der 1920er Jahre besonders stark in die ‚Berneuchener Bewegung‘ hineingezogen wurde, die sich als eine liturgische Erneuerungsbewegung der Kirche verstand. Die Berneuchener wollten eine Haltung einüben, die alles von der Zuwendung Gottes erwartet und sie mit Lobpreis im Singen, Beten und Tun beantwortet. Die Familie Hans von Wedemeyers lebte diese Erneuerung im Glauben durch tägliche Andachten, Gesang und Gebete. Zudem wurden die Kinder materiell sehr anspruchslos erzogen.“

Eine vergleichbar intensive Frömmigkeit lebten die Jarchliner von Bismarck nicht. „Großvater Gottfried, der Erbe von Kniephof (hier wuchs auch Reichskanzler Otto auf),“ schreibt Enkel Ernst von Bismarck, „war zweifellos ein Nonkonformist. Er unterschied sich sehr deutlich von seinen vor allem hasenjagenden und Fruchtfolge diskutierenden Nachbarn. Er hatte in England Musik studiert, besaß eine umfangreiche Bibliothek, interessierte sich für Geschichte, Archäologie und Technik (er war befreundet mit dem Atomforscher Nils Bohr) und las lieber die satirische Zeitschrift Punch als, wie dort damals üblich, die Jägerzeitung.“

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Dass Gottfried von Bismarck eigene Wege ging, passte insofern in die Familientradition, als schon Vorfahren einen „Eigensinn“ gezeigt hatten: „Rule von Bismarck, Ratsherr zu Stendal beispielsweise, gründete 1320 gegen den Widerstand der Kirche eine städtische Schule, weil er den Bildungsauftrag durch die kirchlichen Schulen nicht hinreichend gewährleistet sah. Ein Vorkämpfer von Otto sozusagen, der viel später die Säkularisierung der Schulen durchsetzte. Der gesamte Rat der Stadt Stendal wurde daraufhin mit dem Bannfluch belegt. Rules Sohn Nikolaus, der Stifter des Gertraudenhospitals in Stendal (1370) wurde exkommuniziert“, so Ernst von Bismarck.

Der Anspruch, an der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung mitzuwirken, war in der Familie lange vor Otto von Bismarck verbreitet und zieht sich bis in die Gegenwart. Wiederholt nahmen Mitglieder der Familie von Bismarck einflussreiche Positionen ein. „Auch die Generation unserer Eltern waren in diesem Sinne echte Bismarcks“, ergänzt Ernst von Bismarck. „Jeder auf seine Weise. Klaus und Philipp standen im Rampenlicht, vertraten dort allerdings unterschiedliche Ausrichtungen, was ein gewisses, andauerndes Spannungsverhältnis in politischen Fragen trotz aller geschwisterlichen Nähe befeuerte. Beide Brüder waren sehr unkonventionell mit einem sehr ausgeprägten Persönlichkeitsprofil und unterschieden sich sehr deutlich von ihren Kollegen.“

Ein gewisser „Eigensinn“ war auch der Familie von Wedemeyer nicht fremd. Zur Illustration wird gern folgende Begebenheit kolportiert: „In der Reihe der Wedemeyer‘schen Vorfahren gab es Anfang des 19. Jahrhunderts ein Mitglied, das über etwa 40 Jahre nicht müde wurde, gegen die Welfen-Obrigkeit wegen eines von dieser zu kompensierenden Wildschadens zu prozessieren. Erst seine Kinder bekamen Recht. Dieses Streben nach Gerechtigkeit, manchmal bis hin zur Unbeugsamkeit, ist wohl auch ein Element des Familienerbes von Ruth-Alice. Es hat ihr immer wieder geholfen, trotz ihres Bewusstseins für eigene Schuld, nicht müde zu werden, für Wandel und Erneuerung zu kämpfen, wenn sie diese Verantwortung und diesen Auftrag in ihrer tiefen christlichen Verwurzelung spürte“, so die Einschätzung ihres Sohnes Klaus von Bismarck.

Einen „eher andersartigen Einfluss“, ergänzt er, „übte auf Ruth-Alice die Großmutter, Ruth von Kleist-Retzow, geb. Gräfin von Zedlitz-Trütschler, aus. Die Großmutter war ab 1936 Mittelpunkt der sogenannten Enkelpension, von der aus Ruth-Alice mit Geschwistern, Vettern und Kusinen das Stettiner Gymnasium besuchten. Ruth von Kleist-Retzow war eine eigenwillige und temperamentvolle Frau und wie viele in der Kleist´schen Familie aktiv in der Bekennenden Kirche engagiert. Sie war es, die den Kontakt zu Pastor Dietrich Bonhoeffer schuf und pflegte. In diesen gemeinsamen Treffen mit ihrer Großmutter und Dietrich Bonhoeffer erlebte Ruth-Alice nicht nur eine andere theologische Sicht, sondern auch ein Beispiel, wie man als Christ gelebte politische Verantwortung wahrnehmen kann. Das Spannungsfeld zwischen den beiden Reformbewegungen in ihrem nächsten Umfeld (Berneuchener Kreis und Bekennende Kirche) nahm Ruth-Alice so als Jugendliche bewusst auf.“

Ein neues, großstädtisch-bürgerliches Element brachte Gottfrieds Ehefrau Gertrud (genannt „Mumam“) in den Jarchliner Zweig der Familie von Bismarck ein. Ihr Vater Theodor Koehn entstammte einer Bäckermeisterfamilie aus Neubrandenburg und war in Berlin Tiefbauingenieur und Stadtrat geworden. In der Villenkolonie im Grunewald, wo sich Theodor Koehn mit seiner Familie niederließ, gehörten Privatunterricht, Tennis spielen und musikalische Erziehung und Erbauung zum Alltag. Koehns Ehefrau Anna (genannt Annie oder Gromie) war eine geborene Otzen. Ihre Familie pflegte ebenfalls ein ausgeprägtes kulturelles, besonders der Musik zugewandtes Leben. „Das spätere Leben von Mumam“, so Ernst von Bismarck, „lässt sehr deutlich die verschiedenen Koehn- und Otzen-Prägungen in ihr aufscheinen. Einerseits blieb sie die romantische Frau mit viel musischer Begabung, Bildung und Warmherzigkeit. Andererseits, durch den frühen Tod ihres Mannes erzwungen, war sie die genau und pragmatisch rechnende Gutsherrin der Güter Kniephof und Jarchlin. Sie lebte den Leitspruch ‚Labor omnia vincit‘ – ‚Arbeit besiegt alles‘ in Reinkultur, auch nach Verlust allen Besitzes im Zweiten Weltkrieg.“

Als die 19-jährige Ruth-Alice von Bismarck nach ihrer Hochzeit 1939 nach Jarchlin kam, wurde sie neben den bald kriegsbedingten Beschränkungen mit der Herausforderung durch ihre Schwiegermutter konfrontiert: „Mit dem zupackenden, leistungsorientierten Bürgerstolz ihrer Herkunft und der Erfahrung eines musisch-künstlerischen Elternhauses im geistig inspirierten Berlin, blieb dieser Schwiegermutter das Leben und Denken der Pätziger Familie eher fremd. Obwohl die beiden Frauen, Mutter wie Schwiegermutter, in eher unterschiedlichen Ordnungen dachten, haben sie doch beide allein die Güter mit bewundernswertem Einsatz und hoher Anpassungsfähigkeit durch die Kriegszeit gebracht. Ein Leistungsanspruch, der auch für Ruth-Alices Leben ein Maßstab blieb“, so das Resümee ihres Sohnes Klaus von Bismarck.

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Max v.
Wedemeyer
Hans-Conrad
Stahlberg
Hans v.
Wedemeyer
Ruth v.
Wedemeyer
Klaus v.
Bismarck
Ruth v.
Kleist-Retzow
Ruth-Alice v.
Wedemeyer
Medinge v.
Bismarck
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Großvater Hans von Wedemeyer während des Krieges
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