Allgemein

Musik: Spiegelbild der pluralen und toleranten Einstellung

  Klaus von Bismarck liebte Musik. Doch sie war für ihn weit mehr als eine Kunst, die dem Genuss dient. Sie besaß für ihn auch eine pädagogische, verbindende und viele weitere Impulse gebende Dimension. Als Intendant des WDR nutzte er Musik als soziales und politisches Instrument, um in der Gesellschaft gegenseitige Toleranz zu fördern und um für Verständigung mit den östlichen Nachbarn zu werben. Seine Offenheit für verschiedene Musikrichtungen bereicherte ihn persönlich, bestimmte Lieder wurden ihm nach eigener Aussage zu Klangbildern für wertvolle Prägungen, Einsichten und Erfahrungen. Schon das Elternhaus öffnete Klaus von Bismarck die Tür zur Musik. Besonders Mutter Gertrud und Großmutter Anna Koehn trugen zu einer reichhaltigen Musikkultur auf Kniephof bei. Die Bezüge der Mutter zur bürgerlichen Berliner Musikszene und das Klavierspiel der Großmutter sorgten dabei für eine Orientierung an Qualität und für eine gewisse Vielfalt. So wurde Klaus von Bismarck früh vertraut mit klassischer und Kirchenmusik, später kamen neue Richtungen wie Jazz hinzu. Im jungen Klaus von Bismarck weckten die heimischen Erfahrungen mit Musik das Bedürfnis zum eigenen Cello-Spiel, das aber nicht sehr weit gedieh. Die tröstende, befreiende und stimulierende Wirkung von Musik erlebte er anschließend in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen: Unter anderem dankbar-besinnlich bei Weihnachtsfeiern im und kurz nach dem Krieg, ideologische Grenzen überwinden helfend während der Jugendhofarbeit in Vlotho und kraftvoll die Gemeinschaft fördernd auf Kirchentagen. Als Intendant des WDR avancierte er dann zum engagierten Förderer von Musik. Die Kölner Senderanstalt machte ihm dies leicht, da sie bei von Bismarcks Amtsantritt 1961 nicht nur mit einem breiten Programmangebot im Bereich Musik aufwartete, sondern sich zudem auf dem Gebiet der Neuen Musik internationale Anerkennung erworben hatte. Bereits 1951 waren das weltweit erste Studio für Elektronische Musik einer Rundfunkanstalt gegründet und die Reihe „Musik der Zeit“ eingeführt worden. Dies ließ den WDR nach 1945 zu einem frühen Förderer avantgardistischer Musik unter den deutschen Rundfunkanstalten und das Rheinland zu einem international richtungsweisenden Zentrum für solche zeitgenössische Musik werden. Als Intendant trug Klaus von Bismarck bewusst zum Ausbau des gewonnenen Images bei und setzte es für politische Zwecke ein, speziell für die von ihm an vielen weiteren Stellen unterstützte deutsch-polnische Verständigung. Unter seiner Führung vergab der WDR „als Beitrag zur deutschen Aussöhnung mit Polen“ (Björn Gottstein in: Musik der Zeit, S. 84) einen Kompositionsauftrag an den Professor und späteren Rektor der Musikakademie Krakau, Krzysztof Penderecki. Er hatte sich kurz zuvor einen internationalen Namen in der Neuen Musik gemacht. Die Uraufführung der aus dem WDR-Auftrag resultierenden Lukas-Passion im St.-Paulus-Dom zu Münster (1966) wurde ein „Politikum und Welterfolg“ (Rainer Peters in: Musik der Zeit; S. 42). Musikalisch ist die Komposition ein Schlüsselwerk der Neuen Musik, politisch untermauerte es die Bestrebungen des Intendanten von Bismarck, beginnend mit Polen den Eisernen Vorhang durchlässiger machen zu helfen. Der Leiter der Redaktionsgruppe Neue Musik im WDR, Otto Tomek, resümierte unmittelbar vor Unterzeichnung des deutsch-polnischen Grundlagenvertrages am 7. Dezember 1970: „Man kann sagen, daß wir mit Hilfe der Musik bei der Vorbereitung des deutsch-polnischen Dialoges stillschweigend und ohne große Propaganda doch wohl wirksam vorgearbeitet haben, auch zu Zeiten, wo der kalte Krieg einem ziemlich ins Gesicht blies.“ Intendant von Bismarck gehörte zur handverlesenen deutschen Delegation, die Bundeskanzler Willy Brandt zur Vertragsunterzeichnung in Warschau begleiten durfte. Auf den Geschmack des breiten Publikums traf Neue Musik jedoch nicht. „Werke von [Krzysztof] Penderecki, [Karlheinz] Stockhausen, [Mauricio] Kagel und [Bernd Alois] Zimmermann, die der Westdeutsche Rundfunk z. B. nicht ohne Stolz als ‚seine‘ Musikautoren ansieht, werden auch den Hörern des allgemeinen Programms zugemutet“, beschrieb von Bismarck 1971 auf einer internationalen Hörfunk-Konferenz in Helsinki einen generellen Grundsatz seiner Rundfunkpolitik. Mit solchen „Zumutungen“ wollte er nach eigener Aussage ein breiteres Publikum für...

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Familie im Bild

v. WedemeyerRuth-AliceKlausv. Bismarck&Maria *1959 Thomas 1952 – 2017 Christian „Chrischi“ *1950 Ernst *1947 Klaus *1945 Hans 1943 – 1990 Friedrich „Frieder" *1948 Gottfried *1941 Günther 1917 – 2004Gottfried „Gorri" 1921 – 2001 Medinge von Liebrecht, geb. von Bismarck 1915 – 1975 Lianne „Anne" 1919 – 1961 Philipp 1913 – 2006 Peter 1936 – 2009 Werburg „Lala“ Doerr, geb. von Wedemeyer *1932 Christine 1929 – 2018 Hans-Werner von Wedemeyer *1927 Hans von Wedemeyer1888 – 1942Gertrud von Bismarck, geb. Koehn1890 – 1971Maria Weller, geb. von Wedemeyer 1924 – 1977 Klaus von Bismarck 1912 – 1997Ruth von Wedemeyer, geb. von Kleist-Retzow1897 – 1985Ruth-Alice von Bismarck, geb. Wedemeyer1920 – 2013Gottfried von BismarckGroßneffe des „Eisernen Kanzlers“ Otto von Bismarck 1881 – 1928Maximilian „Max“ 1922 – 1942Familie im Bild Mit einem klick auf eines der Bilder vergrößert sich das Bild und es erscheint der Name des jeweiligen Familienmitglieds. Ein weiterer klick minimiert das Bild wieder....

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Zeitzeugen: Ruth-Alice von Bismarck und der Shalom Kreis

Der Shalom Kreis ist eine private, weltoffene und interreligiöse Vereinigung. Mitbegründerin und viele Jahre lang Mittelpunkt der Initiative war Ruth-Alice von Bismarck. Weitere bedeutende Mitinitiatoren waren Prof. Dr. Herbert Jehle (1907-1983), ein Physiker, der als NS-Gegner nach seiner Emigration an mehreren Universitäten in den USA lehrte und forschte, und seine Frau Dietlinde „Dieta“ Jehle (1915-2009), geb. Freifrau von Künßberg. Beide waren engagierte Pazifisten und Quäker, die seit 1977 in München lebten. Renate Lauermann Der Kreis wurde vor allem von engagierten Menschen aus der Friedensbewegung getragen. Dazu zählten Mitglieder von Pax Christi, TeilnehmerInnen an der Menschenkette von Stuttgart / Ulm 1983 und an den Sitzblockaden in Mutlangen ab 1983, besonders jene aus der Gruppe mit dem Schriftsteller Dieter Lattmann (1926-2018), sowie Ostermarschierer. Motive des Engagements im Shalom Kreis waren persönliche Kriegserfahrungen oder um 1989 für einen friedlichen Verlauf der Demonstrationen in Leipzig und Ostberlin zu beten. Die Kraft ihrer Spiritualität Jour fixe des Shalom Kreises war donnerstags Nachmittag. Ruth-Alice von Bismarck lud zu Friedensgebet, Tee und Gespräch in ihre Wohnung in der Römerstr. 4 in München, Westschwabing, ein. (Auf dem Foto das Dreifachfenster im 1. Stock.) Es war ein heterogener Kreis unterschiedlichster Frauen, der sich in seiner Zusammensetzung mit den Jahren veränderte. Wir waren vornehmlich Frauen. Dr. Elisabeth Kickhöfer, Theologin, Renate Lauermann, Übersetzerin, Inge Ammon, Pfarrersfrau der Erlöserkirche München Schwabing und unermüdliche Friedens-Aktivistin, Marlen Lattmann, Heidi Hemmer, Freundin von Ruth-Alice aus pommerscher Zeit, Ingrid Drum, Aktivistin in urbanen Themen und Mitinitiatorin des „Römermülls“, Anna Weiß, Gertrud Scherer, Lehrerin, Ursula Edle von Hayek, Ulrike Trüstedt, Komponistin, Mareijke Köhler-Wories, Sekretärin von Ulrike Mascher (Politikerin, SPD), bildeten die sogenannte Stammgruppe. Gäste waren immer willkommen. Es gab eine Dramaturgie: Die Anliegen Nach Quäker-Art konnte jeder sein Anliegen im Kreis vortragen, unabhängig davon, ob sie persönlicher oder politischer Natur waren. Ruth-Alice von Bismarck griff dann nach ihrer Bibel, die immer bereit lag, oder nach den Herrnhuter Losungen, wählte einen Psalm aus und trug ihn vor. Ihre Stimme wurde kontinuierlich leiser. Mit geschlossenen Augen, tief in sich hineinhorchend, die Hände gefaltet, mit verschränkten Fingern, strahlte sie eine große Stille aus. In ihr sammelte sie ihre Gedanken, in die hinein sie ihr Gebet formulierte, die Anliegen mit einschließend. Aus einer tiefen Vertrauensbasis heraus kamen ihre Worte. Wesentlicher Ansprechpartner ihres Gebetes war das DU – Ihr Gebet transformierte uns und die vorgetragenen Anliegen und/oder Sorgen, sie persönlich sprach von Segen (siehe nachfolgender Text). Es waren authentische Momente. Beitrag Das Treffen wurde durch einen aktuellen Beitrag, sei er politischer, kultureller oder sozialer Art, fortgeführt. Oft verschickten TeilnehmerInnen bereits im Vorfeld Faxe mit ihren Anregungen für das kommende Treffen. Oder es gab Gastvorträge. Beispielsweise war während des jugoslawischen Bürgerkriegs in den 1990er Jahren der serbisch-orthodoxe Pope aus München zu Gast. Diskussion Den Beiträgen folgte stets eine Diskussion. In lockerer Gesprächsrunde klang das Treffen aus, und wir gingen verändert nach Hause. Feste, Feiern An Epiphanias wurde Neujahr gefeiert, mit großem Christbaum, Suppe, Tee und Plätzchen. Der Kreis der Gäste war größer und vielschichtiger. Mittelpunkt der Feier war die Zeremonie der Anliegen. Nach Quäker-Art konnte jeder sein Anliegen formulieren und anschließend symbolisch eine Kerze am Christbaum anzünden, jeder bekam hierfür die Zeit der Welt. Der Christbaum erstrahlte und draußen brach die Nacht herein. Ruth Alice von Bismarck verstand zu feiern. Der Shalom Kreis trifft sich heute noch in veränderter Form bei Gudrun Diestel. Engagement für Asylanten und Migranten Anna Gourari, Pianistin, kam mit ihrer Familie aus Kasachstan nach München. Sie konnte in der Wohnung von Ruth-Alice von Bismarck üben. Ihr Humor Eine Episode (kurze Zeit vor dem Umzug, Klaus von Bismarck war gerade in Hamburg zu Besuch gewesen): Mit ihrem typischen Lachen...

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Kunst: Lebensfreude und Ausdruckskraft

Klaus von Bismarck hatte das Glück, dass seine Mutter („Mumam“ Gertrud Koehn) und seine Großmutter („Gromi“ Anna Koehn) ausgeprägte Bezüge zur Musik, bildenden Kunst und Berliner Literaturszene hatten und diese somit früh Teil seiner Erlebniswelt wurden. Das konzertante Klavierspiel der Großmutter und eine lebendige Kammermusikkultur ließen in ihm den Wunsch entstehen, das Cello-Spiel zu erlernen, um selber Musik machen zu können. Seine Liebe zur Musik lebte er später jedoch eher als engagierter Förderer und durch sein Interesse an verschiedenen Musikrichtungen aus. Seine Mutter unterhielt vielfältige Kontakte zu Künstlerkreisen. Gerhard Marcks (1889-1981) zeichnete ein Porträt von ihr, das Klaus später in seinem Arbeitszimmer aufhängte. Er schätzte den Bildhauer Marcks sehr und blieb ihm persönlich verbunden. Schon früh füllte Klaus die freien Seiten seiner Schulbücher mit Skizzen von Tier-, Jagd- und Naturszenen sowie mit Bildern aus der griechischen Mythologie. Er versuchte besonders die Vitalität und Harmonie von Bewegung, welche genaue Kenntnisse der Anatomie voraussetzten, in seinen Skizzen festzuhalten. Später waren es seine Terminkalender und Notizbücher, die er mit solchen Motiven reich bebilderte. Von seinen vielen beruflichen Reisen brachte Klaus ausgewählte Objekte und Darstellungen mit, durch die er seine auch künstlerische Sicht auf die Dinge ausdrückte und die ihn in fordernden Lebensphasen „begleiteten“. So umgaben ihn in seinem Arbeitszimmer, „der Höhle“, poetisch-pittoreske Holzschnitzereien polnischer Volkskunst. Eher zufällig entdeckte Klaus während eines längeren Rehabilitationsaufenthalts in der Lauterbacher Mühle, die in der Nähe des Starnberger Sees liegt, in den 1980er Jahren seine Freude an der Gestaltung von Tonplastiken. Es waren zuerst geübte Motive seiner früheren Skizzen, die er dort unter Anleitung einer Künstlerin umsetzte. Doch schon bald entstanden komplexere Plastiken, zuweilen modellierte er ganze Szenen. Diese waren zwar nicht immer nicht bis ins letzte Detail realistisch ausgearbeitet, aber seine Objekte besaßen stets eine kreatürliche Sinnlichkeit und Bewegungsdynamik. Bald entstanden in schneller Folge neue Arbeiten. Auf Reisen musste ein Klumpen Ton, in feuchte Tücher gewickelt, mit in den Koffer. War kein Ton zur Hand, malte Klaus mit Wasserfarben auf einfachen Zeichenblöcken. Motive waren oft Szenen aus der Zeit seines Aufwachsens in Pommern: Räume, die Mutter an ihrem Arbeitstisch, vertraute Landschaften mit Wald, Wild und Pferden. Für seine Enkel entstand so ein Bilderbuch mit eigenen Texten und Aquarellen über seine Jugendzeit in Pommern zwischen den Weltkriegen. Die Hälfte des großen Familien-Esstisches in der Münchner Römerstraße nutzte Klaus des Öfteren als künstlerische Arbeitsfläche. Er arbeitete immer sehr konzentriert. Auch wenn er dabei Zuschauer hatte, ließ er sich nicht ablenken. Ein als Geschenk erhaltener Bildband über europäische Wildvögel, welcher detaillierte Darstellungen von Flugbewegungen enthielt, animierte Klaus, eine neue künstlerische Ausdrucksform zu versuchen: Aus bemalter Pappe, ausgeschnitten und dann kunstvoll dreidimensional zusammengesteckt, bastelte er Mobiles. Die Figuren, anfänglich vor allem geliebte Vogelarten wie Kraniche und Wildgänse, hing er an dünnen Drahtbügeln und Seidenfäden auf. Schnell wandelten sich jedoch die Motive, mitunter zu selbst erfundenen, witzigen, skurrilen Szenen. So entstand etwa ein Mobile mit fliegenden Klapperstörchen, die vor wütenden, mit Steinen nach ihnen werfenden Frauen flüchten und sich dabei endlos im Kreise drehen. Klaus genoss die Präsentation seiner neuen Werke, die, oft garniert mit einer guten Portion Schalk, viel von seiner Sicht auf das Leben und von seiner Lebensfreude ausdrücken. Spontan verschenkte er einzelne Werke an Bewunderer. Anlässlich von Jubiläen und oder Geburtstagen kam die erweiterte Familie in den Genuss seiner Kunstwerke. Dort trifft man heute immer noch auf sie, die in ihrer Ausdruckskraft und gleichzeitig humorvollen Leichtigkeit treffend an ihren Erschaffer erinnern. Vor allem in der letzten Lebenszeit nutzte er das künstlerische Arbeiten als Kommunikationsinstrument, da ihm die Sprache, mit der er sonst mit Worten plastische Bilder zu malen verstand, genommen worden war. Bei dieser Tätigkeit konnte er tief...

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Reisen nach Israel

Kein außereuropäisches Land hat Ruth-Alice von Bismarck so oft besucht wie Israel. Sowohl allein als auch im Familienverband reiste sie insgesamt sieben Mal nach Israel. Das sie wohl am stärksten bewegende Erlebnis war die Reise mit den Enkeln und Freunden 1990. Allen Reisen ging eine intensive Vorbereitung voraus, mehrfach dokumentierte und reflektierte Ruth-Alice von Bismarck die Erlebnisse während dieser Reisen. Ein erster Israel-Besuch fand offenbar bereits 1961 statt, ohne dass Aufzeichnungen oder Fotografien davon erhalten geblieben sind. Die nächste Reise nach Israel, 1978, unternahm Ruth-Alice allein, um an einer deutsch-jüdischen Bibelwoche (April/Mai) in Jerusalem teilzunehmen. Zur Eröffnung des Goethe-Instituts in Tel Aviv im Mai 1979 reiste das Ehepaar gemeinsam und besuchte bei dieser Gelegenheit auch Haifa und das Leo Baeck Center. Ihre Eindrücke von dieser Reise hielt Ruth-Alice in einem Reisetagebuch fest. Die vielen „Ebenen von Eindrücken und Erlebnissen“ (Ruth-Alice) bewogen beide im Jahr darauf mit Geschwistern und Freunden (insgesamt acht Personen) erneut nach Israel zu reisen: „Mein ganzes Engagement für Israel fing auch erst richtig in München an, erinnert sich Ruth-Alice. Die Anregungen kamen dabei von der Malerin Helga von Loewenich (aus dem Frauenkreis) und deren Mann, Pastor einer evangelischen Gemeinde in München. Sie stellten auch den Kontakt zwischen Ruth-Alice von Bismarck und einem jüdischen Neutestamentler her, dessen Ausspruch: „In keinem Volk der Erde war es für Jesus so schwierig zur Welt zu kommen, wie in Israel“ sie sehr beeindruckt hat. Die Reisen nach Israel wurden sorgfältig vorbereitet, denn eine reine „Touristenreise“ kam nicht infrage. Besondere Vorbereitung erhielt aber die Enkel-Reise nach Israel 1990. Die Reise sollte nicht in Unkenntnis der Geschichte und der aktuellen politischen Situation Israels stattfinden. In der Zeit, in der Ruth-Alice allein oder mit Familie Israel bereiste, war die politische Geschichte des Landes einerseits von einem beachtenswerten wirtschaftlichen Erfolg, andererseits aber auch von Kriegen geprägt. Seit dem 1. Nahostkrieg (1948/49), den Israel gewann und in dem Israel weitere Gebiete über die Teilungsgrenzen von 1947 hinaus eroberte, führte Israel mehrere Kriege (1956, 1967, 1973). Seit 1987 erschütterten wiederkehrende Aufstände der Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten (1. Intifada 1987, 2. Intifada 2000) das Land. Was Ruth-Alice schon über ihre Südamerikareise bemerkte, kann auch für die Israelreisen gelten: Es ging nicht um „Abenteuer, die nur Geltung, Ansehen und Interesse verschaffen ‒ weder fahre ich als ein Mensch, der seine Kultur ausbreiten dafür Reichtümer heimbringen will, noch als einer, der Heil erhofft, sondern ich fahre als Ruth Alice in einer komplizierten Welt, die sie nicht mehr überblicken kann. Das Fremde ‒ weil das ‒ Heimatliche langweilig geworden ist? Sondern ich fahre aus unlösbaren Fragen und unüberblickbaren Situationen in andere genauso unlösbare ‒ und ich hoffe mir Hilfe.“   Aussagen von Ruth-Alice von Bismarck aus einem Interview, das Dr. Josef Schmid mit ihr am 16. und 23. Februar 2006 geführt hat. Redaktionelle Bearbeitung Christine Schatz Weiterführende Dokumente: 2 Seiten aus dem Reisetagebuch von 1979 von Ruth-Alice von Bismarck; Einladungsbrief vom 2.7.1979 zur Israel-Reise 1980; Reisetagebuch 1980; Unterkunft in Jerusalem im Lutheran Hostel; Flyer des Leo Baeck Center und Karte von Haifa und Umgebung aus dem Archiv, Chronologie der Aufstände im israelisch-palästinensischen...

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Ruth-Alice von Bismarck und Minna Issler ‒ Freundschaft und Versöhnungstat

Auf der ersten Bibelwoche, 1977, an der Ruth-Alice teilnahm, lernte sie die Wiener Jüdin Minna Issler und deren Ehemann kennen. Aus dieser ersten Begegnung, die für Ruth-Alice eine Art Schicksalsbegegnung war, entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. In einem langen Interview am 17. November 2005 schilderte Ruth-Alice Aspekte dieser Freundschaft …   Minna Issler, geboren in Wien, ging mit der zionistischen Jugendbewegung nach Palästina und lebte dann in Tel Aviv. Sie war im Erwachsenenalter erblindet und ihr Mann war „ihr Augenlicht“. Nach dem Tod des Ehemanns übernahm Ruth-Alice dessen Aufgabe „Augenlicht“ zu sein, wenn sie Minna Issler bei deren Besuchen zu den christlich-jüdischen Bibelwochen oder während des Sommerurlaubs in Deutschland betreute. Das nicht einfache Zusammensein sah Ruth-Alice als Versöhnungsaufgabe: „Die Versöhnung bestand also darin, dass ich … alles mit ihr durchhielt.“ Ruth-Alice erinnert sich: „Sie kam mit dem Flugzeug an, indem sie gut betreut wurde. Minna war ein sehr selbstständiger Mensch. Und diese Selbstständigkeit erforderte immer ganz ungeheuerliche Bocksprünge von den Menschen, die sich für sie einsetzten. Es war immer die Quadratur des Zirkels, was es alles zu vereinigen gab. Sie durfte nicht unter 500 aber auch nicht über 600 Meter, es mussten immer ebene Spaziergänge sein, es musste ein Haus sein, was billig war, wo sie aber Diät bekommen konnte. Alle diese Dinge mussten zusammen kommen und kamen aber nie ganz zusammen. Es blieb immer noch Raum für Katastrophen, die bei jedem ungefähr vierwöchigen Aufenthalt Katastrophen passierten. Diese Katastrophen von rückwärts her betrachtet waren einfach auch eine Beteiligung an einem Friedensprozess zwischen Israel und Deutschland.“ … „Wir wurden mit der Verzweiflung konfrontiert, die in einem jüdischen Menschen, in einem neuen israelischen Bürger, anwesend war. Diese Verzweiflung konnte nur überwunden werden, wenn sie auch heraus kam. Die Verzweiflung bestand nicht nur darin, dass der Ort plötzlich eine Mückenplage hatte oder die Hauswirtin einer entsetzlichen Sekte angehörte, die Ausschwitz leugnete. Es passierte immer etwas Entsetzliches, aber gleichzeitig passierte auch immer wieder etwas neues Gutes.“ … „Ich konnte immer nur acht Tage bei Minna sein, sie wollte eigentlich, dass ich die ganze Zeit über bei ihr bleibe, aber ich hatte ja auch noch ein anderes Leben. Also musste ich Leute finden, die sich bereit erklärten neben einer blinden Frau die höchst selbstbewusst und höchst selbstständig war, eine Woche auszuharren. In der Mitte gab es immer eine Bibelfreizeit von einem Wochenende, wo es dann auch wirklich um das Gespräch zwischen Juden und Christen ging. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich, dass Minna Issler ein unglaublich großes Gefühl für wichtige Menschen hatte, die sie dann auch anzog. Immer waren irgendwelche Menschen bereit, das Letzte für Minna zu geben. Aber es begegneten uns auch Menschen, die geradezu fürchterlich waren.“ … „Aber eine ganz große Sache war ein Stück echter Versöhnung zwischen uns. Es wuchs einfach das Vertrauen und es wuchs auch die Gruppe von Menschen, die sie umgaben. Zum Schluss ‒ ich glaube, diese Treffen fanden sieben Jahre lang statt ‒ fanden wir wirklich gute Teilnehmer an der Bibelfreizeit. Langsam, langsam, langsam wuchsen wir zusammen. Eine große Rolle hat auch Thomas gespielt, der kam, um mich zu unterstützten und auch ein bisschen Urlaub in den Bergen dabei zu verbringen. Thomas hatte einen herrlichen Humor. Morgens, wenn Minna schlechtester Laune am Frühstückstisch saß, sagte ich: „Minna, das Morgengebet!“ Minna sagte: „Ich danke Dir Gott, Schöpfer der Welt, dass Du mir meine Seele zurückgegeben hast!“ Das sagte sie anschließend noch einmal auf Hebräisch. Wenn dann aber ihre Laune nicht besser wurde, kam Thomas und sagte zu Minna: „Was wünschen Majestät heute Morgen?“ Da Minna Isslers Kräfte zusehends abnahmen und sie die Reisen nicht mehr bewältigen konnte, ging man...

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