Kunst: Lebensfreude und Ausdruckskraft
Klaus von Bismarck hatte das Glück, dass seine Mutter („Mumam“ Gertrud Koehn) und seine Großmutter („Gromi“ Anna Koehn) ausgeprägte Bezüge zur Musik, bildenden Kunst und Berliner Literaturszene hatten und diese somit früh Teil seiner Erlebniswelt wurden. Das konzertante Klavierspiel der Großmutter und eine lebendige Kammermusikkultur ließen in ihm den Wunsch entstehen, das Cello-Spiel zu erlernen, um selber Musik machen zu können. Seine Liebe zur Musik lebte er später jedoch eher als engagierter Förderer und durch sein Interesse an verschiedenen Musikrichtungen aus. Seine Mutter unterhielt vielfältige Kontakte zu Künstlerkreisen. Gerhard Marcks (1889-1981) zeichnete ein Porträt von ihr, das Klaus später in seinem Arbeitszimmer aufhängte. Er schätzte den Bildhauer Marcks sehr und blieb ihm persönlich verbunden. Schon früh füllte Klaus die freien Seiten seiner Schulbücher mit Skizzen von Tier-, Jagd- und Naturszenen sowie mit Bildern aus der griechischen Mythologie. Er versuchte besonders die Vitalität und Harmonie von Bewegung, welche genaue Kenntnisse der Anatomie voraussetzten, in seinen Skizzen festzuhalten. Später waren es seine Terminkalender und Notizbücher, die er mit solchen Motiven reich bebilderte. Von seinen vielen beruflichen Reisen brachte Klaus ausgewählte Objekte und Darstellungen mit, durch die er seine auch künstlerische Sicht auf die Dinge ausdrückte und die ihn in fordernden Lebensphasen „begleiteten“. So umgaben ihn in seinem Arbeitszimmer, „der Höhle“, poetisch-pittoreske Holzschnitzereien polnischer Volkskunst. Eher zufällig entdeckte Klaus während eines längeren Rehabilitationsaufenthalts in der Lauterbacher Mühle, die in der Nähe des Starnberger Sees liegt, in den 1980er Jahren seine Freude an der Gestaltung von Tonplastiken. Es waren zuerst geübte Motive seiner früheren Skizzen, die er dort unter Anleitung einer Künstlerin umsetzte. Doch schon bald entstanden komplexere Plastiken, zuweilen modellierte er ganze Szenen. Diese waren zwar nicht immer nicht bis ins letzte Detail realistisch ausgearbeitet, aber seine Objekte besaßen stets eine kreatürliche Sinnlichkeit und Bewegungsdynamik. Bald entstanden in schneller Folge neue Arbeiten. Auf Reisen musste ein Klumpen Ton, in feuchte Tücher gewickelt, mit in den Koffer. War kein Ton zur Hand, malte Klaus mit Wasserfarben auf einfachen Zeichenblöcken. Motive waren oft Szenen aus der Zeit seines Aufwachsens in Pommern: Räume, die Mutter an ihrem Arbeitstisch, vertraute Landschaften mit Wald, Wild und Pferden. Für seine Enkel entstand so ein Bilderbuch mit eigenen Texten und Aquarellen über seine Jugendzeit in Pommern zwischen den Weltkriegen. Die Hälfte des großen Familien-Esstisches in der Münchner Römerstraße nutzte Klaus des Öfteren als künstlerische Arbeitsfläche. Er arbeitete immer sehr konzentriert. Auch wenn er dabei Zuschauer hatte, ließ er sich nicht ablenken. Ein als Geschenk erhaltener Bildband über europäische Wildvögel, welcher detaillierte Darstellungen von Flugbewegungen enthielt, animierte Klaus, eine neue künstlerische Ausdrucksform zu versuchen: Aus bemalter Pappe, ausgeschnitten und dann kunstvoll dreidimensional zusammengesteckt, bastelte er Mobiles. Die Figuren, anfänglich vor allem geliebte Vogelarten wie Kraniche und Wildgänse, hing er an dünnen Drahtbügeln und Seidenfäden auf. Schnell wandelten sich jedoch die Motive, mitunter zu selbst erfundenen, witzigen, skurrilen Szenen. So entstand etwa ein Mobile mit fliegenden Klapperstörchen, die vor wütenden, mit Steinen nach ihnen werfenden Frauen flüchten und sich dabei endlos im Kreise drehen. Klaus genoss die Präsentation seiner neuen Werke, die, oft garniert mit einer guten Portion Schalk, viel von seiner Sicht auf das Leben und von seiner Lebensfreude ausdrücken. Spontan verschenkte er einzelne Werke an Bewunderer. Anlässlich von Jubiläen und oder Geburtstagen kam die erweiterte Familie in den Genuss seiner Kunstwerke. Dort trifft man heute immer noch auf sie, die in ihrer Ausdruckskraft und gleichzeitig humorvollen Leichtigkeit treffend an ihren Erschaffer erinnern. Vor allem in der letzten Lebenszeit nutzte er das künstlerische Arbeiten als Kommunikationsinstrument, da ihm die Sprache, mit der er sonst mit Worten plastische Bilder zu malen verstand, genommen worden war. Bei dieser Tätigkeit konnte er tief...
MehrGlauben: Gleiche Ziele, unterschiedliche Wege
Aufgewachsen in stabilen protestantischen Milieus, blieben Ruth-Alice und Klaus von Bismarck zeitlebens fest verankert im christlichen Glauben und dessen Werteordnung. Infolge der sie grundlegend erschütternden Erfahrungen mit Nationalsozialismus und Krieg verband beide nach 1945 eine dauerhafte und offene Suche nach neuen Wegen, als Christ aktive Verantwortung in der Welt zu übernehmen. Unterschiede im Glaubensverständnis und in den persönlichen Bedingungen führten allerdings zu differenziertem Handeln. „Der Mensch und die ihm anvertraute Schöpfung ist Teil der göttlichen Ordnung“, so beschreibt Sohn Klaus rückblickend das Glaubensverständnis seiner Mutter. „In dieser patriarchalischen Ordnung ist jeder ‚an seinen Platz‘ berufen, um die Verantwortung zu übernehmen und auszufüllen, die dieser Platz fordert. Die eigene Herkunft bestimmt die Aufgabe. Die eigene Kraft des Menschen reicht für diese ‚Mission‘ nicht aus. Daher erbittet man immer wieder vom Schöpfer zusätzliche Stärke, um diese Mission erfüllen zu können. Die Auseinandersetzung mit Gottes Wort, Andacht und Gebet helfen dazu, immer wieder neu die ‚Aufgaben‘ zu erkennen. Die umgebende christliche Gemeinschaft ist dazu eine notwendige Hilfe. Trotz allen Bemühens, den richtigen Weg zu erkennen und zu gehen, wird man schuldig an einzelnen Menschen und der Gesellschaft und bedarf daher der Vergebung. Dies Bewusstsein verhindert Hochmütigkeit und Selbstüberschätzung.“ An christliche Demut appellierte Klaus von Bismarck ebenfalls wiederholt. Im Unterschied zu seiner Frau betonte er jedoch von Anfang an deutlich stärker die Eigenverantwortung von Christen: „Er hat uns Kindern aber auch vermittelt“, erinnert sich Sohn Gottfried, „dass verantwortliches Handeln als Christ nicht allein aus dem Glauben abzuleiten ist. Glaube könne nur ein starkes ‚Geländer‘ sein für – dem eigenen Gewissen verpflichtetes – eben selbstverantwortliches Handeln.“ Offenkundig, so interpretiert dies Sohn Klaus, wirkte sich beim Vater die „kreatürliche, an der Schöpfung und das ganze Leben umschließende Glaubenskultur“ aus, die dieser als Kind in der pommerschen Heimat und bei seinen Schwiegereltern erfahren hatte. Dort hatten ihn nicht nur christliche Elemente, sondern auch bürgerliche Bildungskultur, landwirtschaftliche Betätigung, verantwortungsbewusste Gutsherrschaft und das Soldat sein stark geprägt. Kritik und Zweifel an so manchen kirchlichen Traditionen kamen Klaus von Bismarck früh, doch lernte er später „Kirche“ als Rahmen für anregenden und sinnstiftenden Austausch sehr schätzen. Gemäß seinem Glaubensverständnis sah er den einzelnen Christen dabei stets ‒ stärker als Kirchenleitungen ‒ in der Pflicht, sich gesellschaftlich und politisch zu engagieren. Im Bewusstsein der eigenen Begrenztheit und Schuld versuchten Ruth-Alice und Klaus von Bismarck nach 1945 an einem kontinuierlichen Prozess der Erneuerung von Kirche und Gesellschaft mitzuwirken. Beide zeigten sich tief beeindruckt von Dietrich Bonhoeffer, wobei Ruth-Alice sich früh und intensiv dem Leben und den Gedanken des von den Nationalsozialisten ermordeten Theologen widmete, während ihr Mann nach eigener Aussage erst später die Bedeutung Bonhoeffers für die Evangelische Kirche erfasste. Besonders die inspirierende Gemeinschaft in Villigst ließ bei Ruth-Alice und Klaus von Bismarck gemeinsam die Überzeugung reifen, dass die Zukunft von Christen nur in einer vitalen Ökumene liegen könne. Dabei widmete Ruth-Alice von Bismarck den theologischen Aspekten stärkere Aufmerksamkeit als dies ihr Mann tat. Während Klaus auf der Basis seiner beruflichen Position in Villigst mit der Gemeinsamen Sozialarbeit der Konfessionen eine erste überregional beachtete ökumenische Initiative mit auf den Weg brachte, musste sich Hausfrau und Mutter Ruth-Alice – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – zunächst noch weitgehend auf das direkte Umfeld ihrer Villigster Gemeinde beschränken. Ihr Bewegungsspielraum weitete sich spätestens mit dem Umzug nach Köln, als die acht Kinder selbstständiger wurden. Den Kreis christlicher Gemeinschaft wählte sich Ruth-Alice immer selbst, sie blieb nicht auf den Gemeindesprengel jenes Kreises, in dem sie wohnte, begrenzt. Vielmehr knüpfte sie zahlreiche Kontakte zu Juden, orthodoxen Christen und Katholiken in aller Welt, wobei ihr die eigene tiefe Verwurzelung im Glauben und in der Liturgie beim ökumenischen und interreligiösen...
MehrIsrael: Annäherungen durch Gespräche und Initiativen
Auf dem langen und beschwerlichen Weg zur deutsch-israelischen Aussöhnung markierte ein Treffen der beiden Staatsmänner David Ben-Gurion und Konrad Adenauer am 14. März 1960 auf „neutralem“ Boden, im Hotel Waldorf Astoria in New York (gesprochen wurde auf Englisch), einen Meilenstein. Am 12. Mai 1965 nahmen beide Länder schließlich offizielle diplomatische Beziehungen auf. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits Privatpersonen sowie die beiden Kirchen und andere gesellschaftliche Institutionen versucht, entgegen Widerstände auch aus den eigenen Reihen Kontakte nach Israel zu knüpfen. Diese Initiativen gewannen nun an Schwung, was Ruth-Alice und Klaus von Bismarck die Auseinandersetzung mit dem „unbekannten Land“ und seinen Menschen erleichterte. Ruth-Alice und Klaus von Bismarck näherten sich Israel auf unterschiedliche Art und auf verschiedenen Wegen an. Im Jahr 1961 reisten beide gemeinsam zum ersten Mal nach Israel. Die Reise ins „Land der Bibel“ war der Auftakt zu einer fortdauernden Auseinandersetzung mit der deutsch-jüdischen Geschichte und der Geschichte Israels beziehungsweise Palästinas. Dabei schufen sie sich differenzierte Grundlagen, das Land und die Menschen zu verstehen. Während Klaus von Bismarck berufliche Zugänge nutzte und besonders als Präsident des Goethe-Instituts kulturpolitische Initiativen zwischen beiden Ländern förderte, ging seine Frau von religiösen Fragestellungen aus. Die christlich-jüdischen Bibelwochen (in Deutschland und Israel) gaben Ruth-Alice die Möglichkeit, mit Juden ins Gespräch zu kommen, und regten insbesondere die Beschäftigung mit dem Alten Testament an als einen Weg, sich der jüdischen Geschichte und jüdischem Leben anzunähern. Eine dauerhafte und inspirierende Gesprächspartnerin fand sie in der Jüdin Minna Issler, deren Zuhause für Ruth-Alice „ein Stück echte Heimat in Jerusalem“ wurde. Auch Begegnungen mit jüdischen Gelehrten auf Kirchentagen brachten für Ruth-Alice, die sich mit der hebräischen Sprache befasste, wichtige intellektuelle Impulse. U.a. unterstützte und begleitete sie der israelische Friedensaktivist und spätere Träger des Aachener Friedenspreises Reuven Moskovitz auf ihren Reisen nach Israel. Klaus von Bismarck bezeichnete Moskovitz, der wegen seiner unkonventionellen Initiativen auch umstritten ist, als „Abenteurer des Friedens“. Ruth-Alice von Bismarck sah ihre Auseinandersetzung mit Israel nie als ihr „Privatinteresse“ an. Vielmehr war es ihr Anliegen, den nachfolgenden Generationen Wege aufzuzeigen, das Land, seine Geschichte und die seiner alten und neuen Bewohner verstehen zu lernen. Dagegen konzentrierte Klaus von Bismarck sein Interesse auf gesellschaftspolitische Fragen, die die Beziehungen Israels zu Deutschland und auch zu seinen Nachbarn prägten. Während der Zeit als Intendant des WDR stand Israel allerdings noch nicht im Fokus seiner Aufmerksamkeit, wenngleich er schon damals bevorzugt persönliche Begegnungen nutzte, um Land und Menschen besser kennenzulernen. Als Präsident des Goethe-Instituts besuchte von Bismarck das „Heilige Land“ dann mehrmals und knüpfte dabei u.a. einen intensiven Kontakt zum liberalen Jerusalemer Bürgermeister (1965-1993) Teddy Kollek. Diese Verbindung sollte in den 1990er Jahren in eine zeitweilige Mitarbeit im „Jerusalem Komitee“ münden, in dem die Teilnehmer u.a. Möglichkeiten eines konstruktiven Miteinanders der unterschiedlichen Religionen und Kulturen in der Stadt reflektierten. Als Klaus von Bismarck nach mühsamen jahrelangen Verhandlungen 1979 in Tel Aviv das erste Goethe-Institut in Israel eröffnete, ging er ausführlich auf die „belastete Vergangenheit“ ein. „Normale“ Beziehungen werde es zwischen beiden Ländern noch sehr lange nicht geben. Für das Goethe-Institut sei „die Auseinandersetzung mit Geschichte, unserer eigenen wie der des Gastlandes“, hier eine besonders sorgsam zu pflegende „Selbstverständlichkeit“. Für Israels besondere Herausforderungen zeigte Klaus von Bismarck an vielen Stellen Verständnis. So bezeichnete er die Besetzung der Golanhöhen aus militärischer Sicht als Notwendigkeit. Dies habe er während einer Besichtigungstour erkannt, berichtete er später. Gleichwohl blieb er bei solchen Erkenntnissen nicht stehen, sondern kritisierte zuweilen die israelische Politik, wenn sie ihm zu wenig auf Ausgleich mit den Palästinensern zielte. Autoren: Christine Schatz und Josef Schmid Die Zitate entstammen einem Interview, das Dr. Josef Schmid am 17.11.2005 mit Ruth-Alice von Bismarck geführt hat,...
MehrPolen: Brücken bauen bis zum Miteinander
Im Umgang mit Polen setzte Klaus von Bismarck nach 1945 frühe und viel beachtete Zeichen, dass er aus Fehlern der Vergangenheit lernen und Konsequenzen ziehen wollte. Er folgte der Einsicht, dass ein konstruktiver deutscher und persönlicher Neuanfang „nur mit den Polen“ möglich sei. Ähnlich wie Marion Gräfin Dönhoff, Siegfried Lenz und Günter Grass avancierte von Bismarck zu einem „Pionier der Versöhnung“ (Władysław Bartoszewski) zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern. In der Folgezeit nutzte von Bismarck seine beruflichen Engagements stets intensiv, um eine Verständigung zwischen beiden Ländern zu fördern. Das eröffnete ihm selbst neue Blicke auf Polen. Schritt für Schritt wurde ihm bewusst, wie sehr er zuvor „mit dem Rücken nach Osten“ gelebt hatte. Als Klaus von Bismarck 1954 auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Leipzig öffentlich seinen Verzicht auf frühere Besitztümer in Pommern erklärte, wollte er „die Kette des Unrechts“ durchbrechen. Er war nicht bereit, neue Schuld auf sich zu laden, indem er eine Politik unterstützte, die die jetzt in seiner Heimat lebenden Polen dem Risiko einer erneuten Vertreibung aussetzte. Diese Positionierung brachte von Bismarck heftige Anfeindungen durch deutsche Vertriebenenpolitiker bis hin zu Morddrohungen ein. Er antwortete, dass „uns allen“ eine „blinde Liebe zur Heimat nicht mehr erlaubt“ sei. Als Mitunterzeichner des Tübinger Memorandums, einer unter Federführung der Wissenschaftler Carl Friedrich von Weizsäcker und Werner Heisenberg erstellten Denkschrift an die Bundesregierung, sprach von Bismarck sich 1961 für die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als dauerhafte deutsche Staatsgrenze im Osten aus. Drei Jahre später reiste er erstmals seit Kriegsende nach Polen. Radio Warschau hatte ihn eingeladen, da er sich als WDR-Intendant sehr für einen deutsch-polnischen Kulturaustausch und für eine kritische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands einsetzte. Seine Frau Ruth-Alice begleitete ihn und veröffentlichte später unter dem Titel „Hier bin ich geboren…“ in der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT einen eindrucksvollen Bericht über den „Augenblick der Rückkehr“ in die pommersche Heimat. Beide besuchten damals auch das ehemalige KZ Auschwitz, das heute weltweit als eine zentrale Gedenkstätte an den Holocaust gilt. Klaus von Bismarck zeigte sich erschüttert von den Zeugnissen der Judenvernichtung. Darüber hinaus habe es für ihn eine wegweisende Erkenntnis für den weiteren Umgang mit Polen gegeben: Er habe dort erstmals erfahren, dass „diese barbarische Tötungsanlage von den Deutschen zunächst zur Ausrottung der polnischen Intelligenz geschaffen worden war“, berichtete er später. Fortan widmete er sich verstärkt der Geschichte und Gegenwart Polens. Direkte Begegnungen mit Polen, der Vielfalt ihrer Musik, ihrer Kunst und nicht zuletzt ihr verschmitzter Humor beeindruckten ihn nachhaltig. Auf seinen insgesamt 29 Reisen ins Nachbarland bis 1989 besuchte er nur noch drei Mal seinen Heimatort. Stattdessen knüpfte er Kontakte zu Mitgliedern des Sejm, dem – politisch allerdings wenig einflussreichen – polnischen Parlament, und zu weiteren führenden Persönlichkeiten Polens sowie zu prominenten Journalisten wie Adam Krzemiński. Einzelne Kontakte hielten bis zum Tod von Bismarcks. Der später vielfach ausgezeichnete Krzemiński hatte sich früh einen Ruf als ausgezeichneter Kenner Deutschlands erworben. Er schätzte Klaus von Bismarcks Fähigkeiten als Brückenbauer so sehr, dass er ihn 1996 in seinen Versuch einband, eine Versöhnung zwischen Polen und Litauen anzustoßen. Als WDR-Intendant unterstützte Klaus von Bismarck nach Kräften die damals sehr umstrittene sozialdemokratische Ostpolitik, die auf eine Verständigung mit den östlichen Nachbarn zielte. Zum Dank nahm ihn Bundeskanzler Willy Brandt 1970 in seiner Delegation mit zur Unterzeichnung des deutsch-polnischen Grundlagenvertrages nach Warschau, wo von Bismarck den historischen Kniefall des Kanzlers – ein Symbol für die Bitte um Vergebung für deutsche Verbrechen im Nationalsozialismus – aus nächster Nähe miterlebte. Anschließend forderte von Bismarck in öffentlichen Beiträgen, den Warschauer Vertrag mit Leben zu erfüllen. Auf seine Initiative intensivierte der WDR seine Sendungen über Polen. Das Präsidentenamt im Goethe-Institut nutze Klaus von Bismarck, um auf...
MehrZeitzeugen: Erinnerungen an Ruth-Alice von Dr. Alice Haidinger
Die gebürtige Hamburgerin, Familienanwältin und Mitgründerin der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung einer Beratungsstelle für Eheleute und Verlobte in Karlsruhe, Dr. Alice Haidinger (geb. Rée), erinnert sich an die frühe Begegnung mit Ruth-Alice und Klaus von Bismarck kurz nach Kriegsende. Damals noch in der Ausbildung zur Juristin kam sie von Hamburg mit einem besonderen Anliegen zu den Bismarcks nach Oberbehme. Die freundschaftliche Beziehung, die sich aus dieser Begegnung entwickelte, hielt ein ganzes Leben lang. Bald nach dem Kriegsende traf sich ein Freundeskreis von Studenten und dachte darüber nach, wie es dazu kommen konnte, dass die Nazis in unserem Land so viel Macht gewinnen konnten. Wir schauten auf England und die USA und erfuhren, dass dort die akademische Jugend in Colleges lebt und im Zusammenleben schon Demokratie lernt. Wir schlossen daraus, dass, wenn in der Weimarer Republik die Studenten in einem College gelebt hätten, die zukünftigen Akademiker nicht so unpolitisch gewesen wären, dass sie dem National-sozialismus erlagen. So hatten wir den größenwahnsinnigen Plan, ein College zu gründen. Unter den Namen, die uns als mögliche Förderer genannt wurden, war auch Klaus von Bismarck. So machte ich mich mit Christian (Chrischi) Albrecht, später Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft und dann maßgeblich am Aufbau der Universität Hamburg beteiligt, und Caspar (Cassi) Kulenkampff (Student der Medizin und später Professor für Psychiatrie) auf, ihn auf seinem Jugendhof Vlotho zu besuchen. Wir wurden nach Oberbehme geschickt, wo er mit Ruth-Alice, drei Kindern und der Familie seiner Schwiegermutter als Flüchtling lebte. Als wir die kleine Brücke des Wasserschlosses überquert hatten, schlug die Uhr acht oder neun abends, es war „Curfew“, d. h., es herrschte nächtliche Ausgangssperre und kein Deutscher durfte noch auf der Straße sein. Für die Bismarcks hieß das, zu den Flüchtlingen kamen noch drei Hamburger, die dort übernachten mussten. Eine strahlende, bezaubernde Frau mit ihrem dritten Sohn Klaus auf dem Arm empfing uns in der großen Wohnküche. Selbstverständlich konnten wir bleiben. Klaus kam dazu und bei Tee wurde heiß diskutiert, unsere Pläne für gut befunden und wir wurden eingeladen auf der Rückfahrt wieder in Oberbehme zu übernachten. Wir wollten noch zu dem späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann, dem EKD-Ratsmitglied und Mitunterzeichner des Stuttgarter Schuldbekenntnisses vom Oktober 1945, und zu Kardinal Graf von Galen, dem Bischof von Münster, der in der Nazizeit gegen die Euthanasie gepredigt hatte mit dem Erfolg, dass sie beendigt wurde. Man hatte nicht gewagt, ihn ins KZ zu bringen. Dr. Alice Haidinger Bei dem zweiten Besuch auf der Rückfahrt wurde mir erst richtig klar, was für ein Geschenk für mich diese Begegnung mit Klaus und Ruth-Alice war. Als Hamburgerin hatte ich keinerlei Verbindung zu Menschen aus dem Osten und nun diese Familie! Sie luden mich zu Ostern [1947f] ein und da wurde mir so bewusst, dass sie auf ihrem Treck ihre Welt mitgenommen hatten. Es gab eine Morgenandacht, eine Abendandacht. Die Ostereier lagen in einer Schale, in der schon lange vorher Hafer gesät und gewachsen war und der nun eine Osterwiese bildete. Vor Sonnenaufgang musste das Osterwasser geholt werden und man durfte als Mädchen auf keinen Fall dabei lachen, obgleich die Jungs alles dazu taten, dass man doch lachen musste. Diese Familie hatte nichts mehr als ihren Glauben und ihre Tradition, aber das war für mich hinreißend. Ruth-Alice konnte mit einigen Handgriffen aus einer kargen Kammer mit einer Militärdecke und einem Zweig in einer Flasche eine gemütliche Höhle für Klaus gestalten. Wie wir alle satt wurden, ist mir heute noch ein Rätsel. Ich habe nie gehört, dass Ruth-Alice über irgendwas gejammert hat. Wichtig war nur, die Welt zu verändern oder zu lachen. Das änderte sich auch nicht als ich sie später in Villigst und Köln besuchte....
MehrKindheit und Jugend in einer Welt voller Widersprüche
Pommern 1912-1939: Klaus von Bismarck war ein Urgroßneffe des Reichsgründers Otto von Bismarck. Er gehörte dem Familienteil an, der relativ früh über den geistig-kulturellen Horizont ostelbischer Landadliger hinaus blickte. Weltoffenes Elternhaus, ländliche Umgebung, verpflichtender Familienname, bescheidene Mittel, politische Umbrüche, früher Tod des Vaters, eine pazifistische Großmutter und die Selbstverständlichkeit des Militärs waren Komponenten, die Klaus von Bismarck für sein weiteres Leben mit prägten. Am 6. März 1912 wurde Klaus von Bismarck als ältester von vier Söhnen und zwei Töchtern des Landwirts Gottfried von Bismarck im pommerschen Jarchlin geboren. Seine Mutter Gertrud, eine geborene Koehn, stammte aus einer bürgerlich-liberalen Familie. Vater Gottfried, der in England Musik studiert und britischen Humor lieben gelernt hatte, war ein Außenseiter unter den pommerschen Landjunkern. Er gehörte zu der Handvoll Reformer, die sich um eine Bodenreform mehr Gedanken machten als um die praktische Bewirtschaftung des eigenen Gutes. Generell zeigte Gottfried ein breites Interesse an gesellschaftlichen Zukunftsfragen, ferner an Technik und Archäologie. Gleichwohl trat er später, wie viele Bismarcks, der Deutsch-Nationalen Volkspartei (DNVP) bei. Mutter Gertrud liebte ebenfalls Musik und literarische Klassiker, darunter Autoren wie Tolstoi und Dostojewski. Günther, Medinge, Anne , Philipp, Mutter Gertrud „Mumam“, Gottfried „Gorri“ und Klaus von Bismarck Sohn Klaus wuchs mit Hauskonzerten, einem gut sortierten und von ihm weidlich genutzten Bücherschrank, einer Leidenschaft für Pferde und riskanten Ausritten sowie vielerlei Entsagungen infolge sparsamer Haushaltsführung auf – der elterliche Besitz war, wie viele pommersche Güter, hoch verschuldet. Klaus spielte mit den Kindern der Bediensteten und war ein selbstverständlicher Teil der kleinen Dorfgemeinschaft. Schon als junger Mensch lernte er den Umgang mit Hunden, Kühen und Schafen – und mit der Hand Forellen fangen. Nichts davon verlernte Klaus wieder. Für die Jagd zeigte er besonders großes Talent und Leidenschaft. Als kleiner Junge musste er mit ansehen, wie ausgerechnet der liberale Vater in den Wirren der Revolution 1918/19 nur mit Glück dem Attentat durch einen Gutsarbeiter entging. Trotzdem bewahrte der Vater damals Ruhe und Würde, und die Mutter half später der Frau des Attentäters. Als Klaus elf Jahre alt war, zog die Familie auf den Kniephof. Ab 1925 besuchte Klaus das humanistische Gymnasium in Bad Doberan. Er wohnte dort bei seiner Großmutter, einer ebenso passionierten Pianisten wie Pazifistin, wo er seine musikalischen Kenntnisse vertiefte und Anti-Kriegsromane verschlang. Klaus wollte später Medizin studieren und Kinderarzt werden. Als 1928 Vater Gottfried an den Folgen einer langjährigen Tuberkulose-Erkrankung starb, lösten sich die Berufswünsche seines ältesten Sohnes in Luft auf. Der 16-jährige Klaus entschloss sich für eine Ausbildung zum Landwirt, um als vorgesehener Erbe das Gut weiterführen zu können – er sah sich das erste Mal in die Pflicht genommen. Klaus erhielt im ersten Lehrjahr eine sehr moderne landwirtschaftliche Ausbildung, „genoss“ aber auch die damals übliche strenge Disziplin: Todmüde von der harten Feldarbeit, vom Kühe melken und Stall ausmisten, hatte er abends noch den Mundschenk für seinen Chef zu machen. Klaus von Bismarck, ca. 1929 Das zweite Lehrjahr absolvierte Klaus in Pätzig, dem Betrieb seines späteren Schwiegervaters Hans von Wedemeyer. Der liberal-konservative Wedemeyer zog 1932 nach Berlin, um dort als Assistent des Reichskanzlers Franz von Papen die Position seines ehemaligen Kriegskameraden gegenüber Adolf Hitler zu stärken. Dieses Vorhaben blieb bekanntlich erfolglos. Allerdings kam Klaus von Bismarck, der in Berlin monatlich über die Entwicklung im heimatlichen Gut Bericht erstattete, so erstmals ein wenig mit der Welt der großen Politik in Berührung. Schon zuvor war Klaus, wie viele pommersche Adlige, in die DNVP-Wehrsportgruppe „Stahlhelm“ eingetreten und hatte Aufgaben im imaginären „Grenzschutz Ost“ übernommen. Das Soldat spielen reizte ihn als sportliche Herausforderung. Militärdienst war in seinen Kreisen selbstverständlich, auch für seine liberale Mutter. Am 1. April 1934 trat Klaus als Freiwilliger in...
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