Ruth-Alice

Dietrich Bonhoeffer: Begegnungen und Erinnern

Die Beziehungen Dietrich Bonhoeffers zu den Familien Kleist-Retzow, Wedemeyer und Bismarck entwickelten sich vor dem Hintergrund der sozialen, ökonomischen und politischen Verwerfungen der 1930er und 1940er Jahre. Gemeinsame religiöse und politische Überzeugungen zwischen Bonhoeffer und Ruth von Kleist-Retzow bildeten den Ausgangspunkt und die Basis der zunehmend engen Kontakte. Die mit der Verlobung Bonhoeffers mit Maria von Wedemeyer begonnene familiäre Verbindung konnte jedoch infolge der Inhaftierung und Ermordung Bonhoeffers durch die Nationalsozialisten am 9. April 1945 nie ausgelebt werden. Ruth-Alice von Bismarck setzte sich später erneut intensiv mit Bonhoeffer auseinander, als der Briefwechsel zwischen Maria und ihm aus der Zeit seiner Tegeler Haft publiziert werden sollte. Über ihre Großmutter Ruth von Kleist-Retzow lernten Ruth-Alice von Bismarck und ihre vier Jahre jüngere Schwester Maria Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) kennen. Die Großmutter nahm Dietrich Bonhoeffer auf ihrem Gut Klein Krössin mehrmals auf, als er an seinen Schriften, vor allem der unvollendeten und postum erschienen Ethik, arbeitete. Sie besuchte mit ihren Enkelkindern die Gottesdienste des Predigerseminars in Finkenwalde, das Bonhoeffer für die Bekennende Kirche bis zur Schließung 1937 leitete. Das Interesse an theologischen Fragen führte Ruth von Kleist-Retzows mit Dietrich Bonhoeffer zusammen. Ruth von Kleist Retzow (1867-1945) hatte nach dem frühen Tod ihres Mannes 1897 die Leitung der Güter Kiekow und Klein Krössin zwar einem Verwalter übergeben, die Oberaufsicht jedoch immer behalten. Sie selbst übersiedelte zwei Jahre später nach Stettin. Während des Ersten Weltkriegs und in der Jahren der Weimarer Republik zog sie sich wieder nach Kiekow bzw. in das benachbarte Klein Krössin zurück. Erst ab 1935 bezog sie wieder eine Wohnung in Stettin (Pölitzer Straße 103), in der sie eine „Enkelpension“ einrichtete für ihre Enkel, damit diese in Stettin die Schule besuchen konnten. Predigerseminar Finkenwalde Pommersche Gutsbesitzer wie die Wedemeyers, Kleists oder Bismarcks unterstützten das Predigerseminar mit Lebensmitteln und auch die Großmutter hatte für die Seminaristen immer ein offenes Haus. Ruth-Alice erinnert sich, wie als Jugendliche Bonhoeffer erlebte: „Die Seminaristen hatten an die Gutshäuser der Bekennenden Kirche geschrieben: „Wir haben eine neues Seminar, das ist aber illegal und muss selbst finanziert werden! Wir brauchen Möbel und Lebensmittel!“ Von Pommern wurde einmal ein ganzer Waggon mit Kartoffeln geschickt, mal ein lebendiges Schwein, aber auch Möbel wurden gespendet. Auf materieller Basis war eine rege Kommunikation entstanden, und das Interesse der Großmutter war erwacht. „In einer behelfsmäßig zu einer Kirche umgebauten Turnhalle des Anwesens hörte Ruth-Alice zum ersten Mal Bonhoeffer predigen zusammen mit ihrer Großmutter und ihren Cousinen und Cousins. Sie erinnert sich, dass Bonhoeffer weder eine „eindrucksvolle Figur“ noch eine „eindrucksvolle Stimme“ hatte:„… Dietrich sprach leise, die Gestalt wirkte pastoral, die blonden Haare waren spärlich über die Glatze rüber gebürstet ‒ das konnte die Glatze allerdings nicht verbergen. Aber im Augenblick, als dieser Mensch anfing zu reden, war man einfach fasziniert, von der inneren Überzeugungskraft, die von ihm ausging. Eine Predigt über den 139. Psalm habe ich mir besonders gemerkt, dieser Psalm war mir von Kindheit an vertraut: Herr, Du erforschest mich und kennst mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt Du es. Dann kam: Und ob ich gleich wanderte am äußersten Meer, so würde mich doch Deine Hand dar selbst führen und Deine Rechte mich leiten. Pustekuchen! Dietrich übersetzte total anders. „Würde mich doch dar selbst Deine Hand fassen und Deine Rechte mich packen“. Hier stand also ein Mensch, den hatte Gott gepackt und ließ ihn nicht wieder aus.“ Nicht nur für Gottesdienste fuhr man nach Finkenwald, die Besuche erstreckten sich auch auf den Nachmittag, an denen Shakespeare-Dramen gelesen wurden. „Meine kleine Cousine von Bismarck und ich hatten die hohe Ehre, die Frauenrollen zu lesen.“ Eine andere Welt eröffnete sich für die junge Ruth-Alice, als sie...

Mehr

Vergangenheit: Fortdauernde Suche nach Konsequenzen

Als Klaus von Bismarck 1995 bekannte, er habe als Wehrmachtsoffizier „auf einer Insel des Selbstbetruges gelebt“, lagen bereits fünf Jahrzehnte intensiver Suche nach eigenen Irrtümern und eigener Schuld hinter ihm. Wiederholt zog er Konsequenzen aus gewonnenen Einsichten, welche großes öffentliches Aufsehen und nebst Zustimmung auch heftigen Widerspruch, darunter Morddrohungen, erregten. Nach 1945 unterstützte er aktiv den Aufbau eines demokratischen und pluralistischen Deutschlands. Ruth-Alice von Bismarck engagierte sich beim Neuaufbau zunächst vor allem für lokale Gemeinschaften und Belange, später erweiterte sie ihren Wirkungskreis. Sie verband ihre Bemühungen, aus Versäumnissen und Fehlern der Vergangenheit zu lernen, stets mit der Suche nach neuen Leitlinien für verantwortungsbewusstes Christsein. Politische und persönliche Konsequenzen Klaus von Bismarcks Es fiel Klaus von Bismarck insofern leicht, sich aktiv an der Aufarbeitung der zahlreichen beispiellosen Verbrechen der nationalsozialistischen Führung zu beteiligen, als er ihr selbst in kritischer Distanz oder Ablehnung gegenübergestanden hatte, etwa bei der Missachtung von Befehlen als Wehrmachtsoffizier. So förderte er nach 1945 in allen seinen beruflichen Stationen und in vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten den kritischen Umgang mit der jüngsten deutschen Geschichte. Ein erstes öffentliches Zeichen seiner fortschreitenden Erkenntnis über eine eigene Mitverantwortung setzte er 1954 mit dem freiwilligen Verzicht auf frühere Besitztümer in Polen. Als WDR-Intendant war es für ihn selbstverständlich, einschlägige Produktionen gegen Kritiker zu verteidigen, darunter auch solche, die er selbst kritisch sah. Im Amt des Präsidenten des Goethe-Instituts initiierte er wiederholt interne und öffentliche Diskussionen über aktuelle vergangenheitspolitische Fragen wie den „Historiker-Streit“ 1987. Für seine zahlreichen persönlichen Bemühungen, über den „Eisernen Vorhang“ hinweg die Versöhnung zwischen Ost und West voranzubringen, erhielt er große öffentliche Anerkennung und mehrere Auszeichnungen. Weitaus schwerer tat sich Klaus von Bismarck dagegen mit der Aufarbeitung der Geschichte der Wehrmacht. Er hatte schon in jungen Jahren ein zuvor in Preußen und im Deutschen Kaiserreich etabliertes Soldatenethos verinnerlicht, dass ihn im Zweiten Weltkrieg nach eigener Aussage in das Dilemma brachte, zu wählen „zwischen entweder der Schuld, als Offizier in einer Führungsposition noch weiter zu machen, obwohl man inzwischen wusste, wie viel faul in diesem Staate war. Und andererseits der Schuld, die einem anvertrauten Soldaten im Stich zu lassen“. Vor diesem Hintergrund widersprach auch er nicht der lange Zeit verbreiteten Auffassung, die Wehrmacht wäre trotz mancher berechtigter Kritik im Prinzip „sauber“ geblieben. Vielmehr verteidigte er etwa in den 1970er Jahren sogar noch SS-Einheiten mit dem Hinweis, sie hätten in der Wehrmacht oft „tapfer“ gekämpft. Allerdings begann Klaus von Bismarck mit der Reflexion über das eigene, wie er es nannte, „pflichtbewusste“ Tun als „soldatisches Instrument in Hitlers Armee“ spätestens während einer mehrwöchigen Gefangenschaft in einem britischen Lager bei Eutin, in welches er kurz nach Kriegsende am 8. Mai 1945 gekommen war. In emotionaler Aufgewühltheit zwischen „Trauer und Erleichterung“ habe er dort angefangen, sich prüfende Fragen über das vorangegangen Verhalten in der Wehrmacht zu stellen, schrieb er 1946 ehemaligen Kameraden. Befriedigende Antworten fand Klaus von Bismarck auch nach eigener Aussage zu diesem Zeitpunkt noch nicht. In der Folgezeit artikulierte oder unterstützte er einschlägige Kritik und setzte sich immer wieder mit deren ganz persönlicher Dimension auseinander. Besonders als Leiter des Jugendhofs Vlotho und im Rahmen seines vielfältigen Engagements für die Evangelische Kirche führte er dieses selbstkritische Fragen fort. Erkenntnisfördernde Antworten fand und äußerte er schrittweise. Einen für ihn folgenreichen „Schock“ erlebte er im Rahmen einer Reise 1986 nach Minsk. Dort eröffnete er eine Ausstellung des von der Hamburger Körber-Stiftung betreuten Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten über den „Alltag im Nationalsozialismus“. Auf eigenen Wunsch ermöglichten ihm die Gastgeber den Besuch der 50 Kilometer entfernten Gedenkstätte Chatyn. Dort wurde er mit Dokumenten über Kriegsverbrechen der Wehrmacht konfrontiert. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland ließ er zentrale Behauptungen der Chatyner Ausstellung...

Mehr

Zeitzeugen: Erinnerungen an Ruth-Alice von Prof. Dr. Christian Pfeiffer

„Stundenlanges Kartoffeln schälen, Reden über Gott und die Welt, Krawattenshow von Klaus, die Gründung der Bürgerstiftung Hamburg“ sind nur wenige Schlaglichter, die Christian Pfeiffer auf die Jahrzehnte währende Freundschaft zwischen dem Ehepaar Pfeiffer und dem Ehepaar von Bismarck wirft. In seinen Erinnerungen an Ruth-Alice von Bismarck bleiben ihre Lebenslust, Liebefähigkeit und eine nie endende Neugier auf das Leben um sie herum die prägnantesten Eigenschaften. Prof. Dr. Christian Pfeiffer - Foto: Bischöfliche Pressestelle Hildesheim (bph) Vor etwa 35 Jahren besuchten uns Frieda und Magdalena in München-Schwabing in der Kurfürstenstraße. Sie entdeckten dadurch, dass wir nur zwei Straßen entfernt von ihren Eltern/Schwiegereltern wohnten und luden uns dazu ein, die beiden kennenzulernen. So sind wir Ruth-Alice und Klaus das erste Mal in ihrer wunderbaren Altbauwohnung mit den großen, hohen Räumen und den Flügeltüren dazwischen begegnet. Ausgehend von unserem gemeinsamen Kaffeetrinken hat sich eine nachbarschaftliche Freundschaft entwickelt. Wir sind oft bei ihnen gewesen, manchmal kurz entschlossen zu einem kleinen Plausch oder zu abendlichen Gesprächen bei einem guten Glas Rotwein. Daneben gab es aber auch die Einladungen zu den großen Diskussionsrunden. Dann wurden die Flügeltüren geöffnet. So entstand Platz für 30 Personen. Es gab eine wunderbare Kartoffelsuppe, Brot, guten Wein und immer einen Impulsvortrag zu einem spannenden Thema. Danach wurde lebhaft und manchmal auch kontrovers debattiert. Klaus leitete die Diskussion. Aber der emotionale Mittelpunkt war immer Ruth-Alice mit ihrer umwerfenden Herzlichkeit, ihrem lachenden Gesicht und ihrer engagierten Fürsorge für Gäste, die nicht richtig zu Wort kamen oder als Querdenker einen neuen Akzent setzen wollten. Einmal hatte ich das große Vergnügen, selber als abendlicher Referent mitzuwirken. Die Kriminalisierung türkischstämmiger Kinder und Jugendlicher war mein Thema. An die abendliche Diskussion kann ich mich heute gar nicht mehr erinnern, wohl aber an den Nachmittag. Ich saß mit Ruth-Alice in der Küche. Wir schälten einen Riesenberg von Kartoffeln und redeten miteinander über Gott und die Welt – buchstäblich. Religion war uns beiden wichtig, aber das auf sehr unterschiedliche Weise. Ruth-Alice war kirchlicher als ich, stärker im Gebetsdialog mit Gott verbunden. Mir war schon damals das Glaubensbekenntnis ein fremder Text, den ich im Gottesdienst nicht mitsprechen wollte. Aber in unserer großen Begeisterung für Christus und seine Botschaft, da trafen wir uns und hatten so unsere gemeinsame Gesprächsbasis. Aber dieser lange Nachmittag bot auch die Chance, über ganz andre Themen zu reden. Ruth-Alice erzählte mir von Dietrich Bonhoeffer und ihrer Schwester Maria und davon, dass die beiden Verlobten sich nicht mehr sehen konnten, nachdem die Nazis ihn 1943 ins Konzentrationslager Buchenwald und dann in das KZ Flossenbürg gebracht hatten. Sie berichtete mir von dem eindrucksvollen Briefwechsel, der so entstanden ist. Und weil wir über diese starke Liebesbeziehung sprachen, landeten wir auf einmal bei Anna und mir. Nach zehn Jahren Partnerschaft hatten wir uns dank Annas Schwangerschaft endlich dazu entschlossen, zu heiraten. Ruth- Alice und Klaus hatten wir dazu natürlich eingeladen und so erzählte sie mir an diesem Nachmittag schließlich farbig und mit großer Erinnerungsfreude von ihrer eigenen Hochzeit im Sommer 1939 auf dem Gut Pätzig. Doch dann gab es bei uns plötzlich eine große Sorge. Anna geriet in eine Risikoschwangerschaft, musste wochenlang liegen. Da tauchte eines Tages Ruth-Alice mit einem Blumenstrauß bei ihr auf, setzte sich an ihr Bett und erzählte ihr von ihrer ersten Schwangerschaft, von den Ängsten, die sie da hatte und der Riesenfreude, dass dann alles gut gegangen war, als das erste von acht Kindern auf die Welt kam. Drei Monate später war dann bei unserer Hochzeit Walzer angesagt – zunächst mit Anna, vorsichtig und nicht zu wild, damit es ja keine Frühgeburt gibt – dann mit Ruth-Alice, richtig schwungvoll und mit überschäumender Lebensfreude. An eine schöne...

Mehr

Kindheit und Jugend in Zeitenwenden

  Pätzig 1920-1939: Deutschland erlebte nach der Revolution und dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918/19 politisch und wirtschaftlich außerordentlich schwierige Jahre. In dieser Zeit wurde Ruth-Alice von Bismarck in ein protestantisch-konservatives, noch von der untergegangenen Monarchie geprägtes Elternhaus geboren. Behütet aufgewachsen in der größer werdenden Familie, lernte sie als ältestes Kind frühzeitig Verantwortung zu übernehmen. Sie erlebte in ihrer Schulzeit in Stift und Privatschule den Übergang von der Weimarer Republik zur nationalsozialistischen Herrschaft. Ruth-Alice kam am 3. März 1920 auf Gut Pätzig bei Königsberg in der Neumark auf die Welt. Sie war das älteste Kind des Großgrundbesitzers und preußischen Staatsbeamten Hans von Wedemeyer und seiner Ehefrau Ruth, geborene von Kleist-Retzow. Es folgten die Geschwister Maximilian (1922), Maria (1924), Hans Werner (1927), Christine (1929), Werburg (1932) und Peter Christian (1936). Die Kindheit erlebte Ruth-Alice als „friedliches Geborgensein in der Familie“. Die Eltern hielten die älteste Tochter früh dazu an, Verantwortung zu übernehmen. Sie wurde für die jüngeren Geschwister die „Gouvernante“, wie sie sich selbst in einem Interview bezeichnete: „Wir waren eine hierarchische Familie, in der die beiden Ältesten noch eine ganz große Rolle spielten, weil sie die Ethik der Eltern weitergeben mussten. Das führte dazu, dass ich lange Zeit überhaupt nicht darüber nachdachte, wer ich selber war, ich bestand eigentlich aus einer Aufgabe.“ Trotzdem wurde dem zwei Jahre jüngeren Sohn Max die Aufgabe des Ältesten übertragen. Er erhielt schon als Fünfjähriger eine Ulanenuniform: „in den alten Farben dunkelblau und orange. Diese Uniform bedeutete für Max eine unglaubliche Prägung. Davon war ich nicht betroffen, aber es war ganz klar, dass ich den Kleinen immer sagte, was sie machen sollten.“ Ruth von Wedemeyer mit Tochter Ruth-Alice, ca. 1922 Elternhaus Das Elternhaus war bestimmt von der Frömmigkeit der Berneuchener Bewegung, einer nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen evangelischen Bewegung, der Hans von Wedemeyer angehörte. Die von beiden Eltern vorgelebte Frömmigkeit prägte auch die junge Ruth-Alice. Der Gutsherr war zugleich der Patron der Kirche. Die christlich-religiöse Einstellung bestimmte auch das Verhältnis zu den Gutsarbeitern, wie sich Ruth-Alice erinnert: „Meinen Vater kann man nur vom Lehensgedanken her verstehen: Der Besitz war kein Besitz, sondern ein anvertrautes Lehen […]. So war die Bewährung an dieser Stelle für meinen Vater auch etwas Lebenswichtiges. Es war aber auch eine Schöpfungsverbundenheit aller Menschen, die auf diesem Land arbeiteten. Es lag noch eine Verwurzelung darin, dass dies ein von Gott anvertrautes Land war […], also gab es eine gemeinsame Ethik mit allen Gutsarbeitern. Dies wurde durch die Frömmigkeit meiner Mutter unterstützt. Es gab keine Geburt, zu der sie nicht erschien, auch keinen Tod im Dorf. 40 oder 60 Familien lebten in dem Dorf.“ Welchen hohen Stellenwert die Pätziger Dorfkirche für die Eltern besaß, wird daran deutlich, dass sie zugunsten der Kirchenrenovierung auf eine Modernisierung der Sanitäranlagen im Gutshaus verzichteten. Ruth von Wedemeyer über die renovierte Kirche: „Ein wunderschöner und fröhlicher Raum war geschaffen. Die Einweihungsfeier fand am 31.8.1939 statt. Rückschauend muss man wohl diese beiden hohen Festtage [Hochzeit Ruth-Alice am 15.7.1939] als den Höhepunkt unseres Lebens in Pätzig schlechthin ansehen. Dies Werk an der Kirche, das Hans als das wichtigste seines Lebens und ihm liebstes empfand, war abgeschlossen.“ Das Pätziger Krippenspiel, das jedes Jahr vor Weihnachten mit Familienmitgliedern und Gutsangestellten neu einstudiert wurde, bildete das „Hauptgeschehen“ im religiösen Leben der Familie. Schulbildung Ruth-Alice erhielt eine für die damalige Zeit nicht selbstverständlich gute Schulbildung bis zum Abitur, zuerst in Pätzig bis zu ihrem 13. Lebensjahr, dann bis zur Untersekunda in dem Thüringer Adeligen Stift Altenburg, einem renommierten Institut, in das der evangelische Adel seine Töchter schickte, und wo sie 1934 konfirmiert wurde. An die Qualität des Schulunterrichts in Altenburg erinnerte sich Ruth-Alice so: „Es war eine christliche Bildung, und die Qualität des Unterrichts...

Mehr

Hochzeit im Vorfeld des Kriegsbeginns

  Hochzeit 1939: Die beiden Familien von Wedemeyer auf Pätzig und von Bismarck auf Kniephof waren seit Jahren familiär und gesellschaftlich verbunden. Klaus von Bismarck hatte eine Zeit lang auf Pätzig als Landwirtschaftseleve gearbeitet, Ruth-Alice von Wedemeyer war häufig Gast bei Familienfeiern und Festen auf Kniephof. Die angespannte politische Situation im Sommer 1939 bewog beide nach knapp zweijähriger Verlobungszeit im Juli zu heiraten.  Die Hochzeit von Ruth-Alice von Wedemeyer und Klaus von Bismarck wurde „wegen Urlaubsschwierigkeiten für Soldaten“, wie die Einladungskarte informierte, kurzfristig um zwei Tage vorverlegt und fand am 15. Juli 1939 in der Dorfkirche von Pätzig statt. Sechs Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkrieges waren sich die meisten Beteiligten der drohenden Kriegsgefahr nur allzu bewusst. Ruth-Alice‘ Mutter, Ruth von Wedemeyer, schrieb dazu in ihren Erinnerungen: „Ruth-Alices Hochzeit stand bevor. Niemand hatte, unter solch düsteren Wolken, Elan für ein großes Fest. Aber [mein Mann] Hans ahnte, daß es für lange – oder sogar für immer? – die letzte Möglichkeit war, der Jugend eine Freude zu bereiten. Also wurden 124 Personen zusammengeladen. Die Hochzeit […] war, gerade angesichts dieses bösen Hintergrundes, ein Fest von soviel Leuchtkraft und Fröhlichkeit, wie kaum einer von uns es je erlebt haben mag. Sehr bald waren viele der jungen Männer, die noch so übermütig getanzt hatten, gefallen.“ Das frisch vermählte Ehepaar Ruth-Alice und Klaus von Bismarck mit Hans von Wedemeyer Der Trauung ging der Polterabend am 14. Juli voraus. Dessen Programm versprach „Aufführungen verschiedener Piécen mit unfreiwilliger Komik“ sowie Essen, Trinken und Tanz. Aufgeführt wurde das Märchen vom Froschkönig der Gebrüder Grimm mit Cousin Alexander Stahlberg als Frosch-Prinzen und Ruth-Alice‘ Schwester Maria als Prinzessin. Noch Jahrzehnte später erinnerte sich Ruth-Alice freudig an das Fest, besonders an das Märchen-Musical: „Es wurde nicht nur gedichtet, sondern mit fabelhaften Songs von meiner musikalischen Tante [Spes (Pessi)] versehen. Die Lieder kann ich heute noch singen. Es wurde ein tolles Musical. Eine Bühne musste über das Beet hinter unserem Hause gebaut werden, sonst hätte meine Tante das ganze Beet ausgerissen.“ Tags darauf folgten die Trauzeremonie und das Festessen für die geladenen Gäste. Bräutigam Klaus von Bismarck hatte 1934 seine militärische Ausbildung im II. (Jäger-)Bataillon des Infanterie-Regiments 4 in Kolberg an der Ostsee begonnen und nach eigener Aussage gut vier Jahre mit „Passion“ gedient, zuletzt im Range eines Leutnants. Er war zwar inzwischen wieder in die zivile Berufswelt zurückgekehrt und arbeitete als landwirtschaftlicher Beamter, aber gemäß preußischer Tradition heiratete er in Paradeuniform und mit Stahlhelm und Säbel. Die Hochzeitsbilder wurden so ein Sinnbild für den nahen Kriegsbeginn – und für die Selbstverständlichkeit, mit der Klaus von Bismarck kurz darauf seiner „soldatischen Pflicht“ nachkam. Noch während der Hochzeitsreise erhielt er den Stellungsbefehl zum 1. August 1939 nach Kolberg. Zum Weiterlesen: Ruth-Alice über ihre Verlobungszeit Feste auf Gut Kniephof Polterabend und die Hochzeit Die Einladungskarte Programm des Polterabends Die Heiratsurkunde Speisenfolge des Festessens Ruthvon WedemeyerAnnevon KlitzingHansvon WedemeyerLuidgardevon SchlabrendorffFabianvon SchlabrendorffMaxavon LaerAnettevon LaerAnnevon KlitzingHans-Friedrichvon Kleist-RetzowHansvon WedemeyerLuitgardevon SchlabrendorffGerdvon Tresckow Pätziger Kirche vor der Trauung, Juni 1939  ...

Mehr

Kriegsjahre und Flucht

  Kriegserlebnisse 1939-1945: Für Ruth-Alice von Bismarck bedeutete der Krieg im Osten den Verlust ihres Vaters und ihres zwei Jahre jüngeren Bruders Maximilian, die beide 1942 an der Ostfront fielen, sowie den Verlust der alten Heimat Pätzig und der gerade neu gewonnenen auf Gut Kniephof. Mitte Januar 1945 überschritten russische Truppen die Grenze zu Schlesien, und bis Anfang Februar stieß die Rote Armee an die Oder vor. Pommern wurde in dieser Zeit zum Kampfgebiet. Ruth-Alice und Klaus von Bismarck mit ihrem ersten Kind Gottfried Die Kriegsjahre erlebte Ruth-Alice zunächst an der Seite ihrer Schwiegermutter Gertrud von Bismarck, die „mit ungewöhnlicher Kraft und Originalität nach dem frühen Tod ihres Mannes das ihr zunächst fremde Gutsleben angenommen und gestaltet, die Güter Kniephof und Jarchlin durch die Krise gebracht und aus dem Dorf eine starke lebendige Gemeinschaft gemacht hatte“ (Ruth-Alice). Es war für die junge Ehefrau von Klaus von Bismarck nicht ganz leicht, an der Seite dieser starken Frau selbstständig zu werden. Sie fand Unterstützung in der Nachbarschaft und Freundschaft mit ihrer Schwägerin Ebba, der Ehefrau von Klaus von Bismarcks Bruder Philipp. Die nach einem eigenen Aufgabengebiet suchende Ruth-Alice vertrat den eingezogenen Lehrer der Dorfschule. Zwei Söhne wurden geboren, 1941 Gottfried und 1943 Hans. Die noch friedvolle und glückliche Zeit auf Kniephof hielt Ruth-Alice in farbigen Zeichnungen fest. Im tiefsten Winter, am 31. Januar 1945, verließ die hochschwangere Ruth-Alice von Bismarck auf Drängen ihres Mannes Kniephof mit ihren beiden Kindern Gottfried und Hans. Begleitet wurde sie von Bertha Volck (Dane), die bereits die Bismarck-Kinder auf Kniephof großgezogen hatte, und der Haustochter und Sekretärin ihrer Schwiegermutter Gertrud Natorp. Eine Pause in den Kampfhandlungen ermöglichte es den Flüchtenden, den ersten Teil der Flucht über die Oder noch halbwegs sicher zu bewältigen. Die große Flucht von Tausenden von Menschen aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien war bereits im vollen Gang; sie hatte oftmals chaotisch und überstürzt begonnen, weil örtliche Behörden die Evakuierung von Städten und Dörfern verzögert hatten. Ruth-Alice führte eine Liste befreundeter Gutshäuser für Unterkunft und Verpflegung mit sich, sie waren die Stationen auf dem Weg nach Westen, den die Flüchtlinge nicht immer gemeinsam fortsetzten, weil das Fahren in dem ungefederten Ackerwagen für die schwanger Ruth-Alice nach eigener Aussage zur Qual wurde. Sie schloss sich anderen Gruppen an. Über Bad Doberan und Güstrow in Mecklenburg führte die Flucht bis an den Nordrand der Lüneburger Heide um Celle, wo sie auf den Treck ihrer Schwester Maria mit den anderen Geschwistern traf. Zusammen fuhren sie mit zwei Wagen zu Verwandten nach Oberbehme in Westfalen. Die 21-jährige Maria von Wedemeyer hatte am 27./28. Januar in Pätzig einen Treck zusammengestellt, der ihre Geschwister Christine, Werburg und Peter Christian in den Westen führen sollte. Dem Treck schloss sich auch die Frau des Gutsinspektors Döpke, Hertha Döpke, mit ihrem elf Monate altem Kind an. Sie beschreibt in ihrer Fluchtgeschichte wie Maria den Treck führte und immer neue Unterkünfte fand, wo sich die Flüchtlinge nächtigen konnten, mit Essen versorgt wurden und die Pferde gefüttert werden konnten. Weiterführende Dokumente: Zeichnungen Ruth-Alice im Interview über die Flucht aus Pommern Hertha Döpke: Fluchtgeschichte Erinnerungen an Bertha Volck Kniephof, Wohnraum, Danes Lieblingsplatz...

Mehr