Frauenkreis „Neue Freiheit“

In dem Aufbruchsklima der 1970er Jahre gründeten sich vor allem in den westdeutschen Großstädten zumeist parteipolitisch ungebundene Frauengruppen. Die Vielfalt der Themen war dennoch höchst politisch und enttabuisierend: Familienplanung/Abtreibung/Sexualität wurden in der Öffentlichkeit verhandelt, neue Lebensformen ausprobiert und intensiv über Kindererziehung diskutiert.

In diesem Umfeld, wenn auch ungebunden, gründete sich Ende der 1970er Jahre der Münchner Frauenkreis „Neue Freiheit“, angeregt von Ruth-Alice von Bismarck und der Psychologin Silvia Görres. München war seit den 1970er Jahren eine „Hochburg“ der Frauenbewegung, hier wurde der erste feministische Verlag Frauenoffensive und der erste Frauenbuchladen Lillemor’s gegründet, mehrere Frauenzentren und ein Frauenhaus entstanden. Die „neue Frauenbewegung“ nutzte den politischen und gesellschaftlichen Wandel der 1960er und 1970er Jahre, um sich zunehmend Freiräume zu erobern und politisch zu engagieren.

Neue Freiheit

Das Thema des ersten Treffens. „Die Rolle der Frau in ihrer neuen Freiheit“ gab den monatlichen Zusammenkünften, anfangs im Wohnzimmer der Bisamarcks, den Namen. Ruth-Alice von Bismarck und die Psychologin Silvia Görres fungierten als Initiatorinnen dieses Gesprächskreises. Weitere Frauen der „ersten Stunde“ waren die Ärztin Dr. Gustava Everding, die Sozialpädagogin Nore von Rotenhahn, Hildegard Heigert, Eva Brücher von Miller, die Künstlerin Helga von Loewenich und die Juristin Magdalena Harnischfeger-Ksoll.

Bei dem regelmäßigen Gedankenaustausch diskutierten die Teilnehmerinnen unterschiedliche Themen, meist im Rahmen eines Referates, für das sich ein Mitglied entschieden hatte. So beschäftigte die Frauen über mehrere Treffen hinweg die Frage nach der Mitschuld am „politischen Unheil“ und die Mitverantwortung für die neue politische Situation in Deutschland 1989. [Protokoll 4.10.89/2.11.89] Vielfach kamen Themen aus den Arbeitsfeldern der überwiegend berufstätigen Frauen zur Sprache [Protokoll 24.3.88], Berichte aus den verschiedenen außerberuflichen Engagements, biografische Themen wie das Leben der Malerin Frieda Kahlo [Protokoll 10.11.90]. Die führende Rolle nahm Ruth-Alice von Bismarck ein, sie war – so Magdalena Harnischfeger-Ksoll – „der Spiritus Rektor des Ganzen“. Ruth-Alice war offen für Anregungen, „auch wenn die Themen nicht zu ihren ureigentlichen Interessen gehörten … Ihre energische Moderation war ein Segen“ (Magdalena Harnischfeger-Ksoll) bei den oft kontroversen Diskussion, die lautstark geführt wurden. Ihre „anregende Anwesenheit“ gab den Treffen „farbige Tiefe“, wie Margarete Weber pointiert Ruth-Alice Wirken im Frauenkreis charakterisiert. Bei diesen sehr unterschiedlichen Themen gelang es ihr, „auch bei der Diskussion von absolut nicht-religiösen Themen zumindest am Schluss ‚eine Kurve‘ zu einem christlich-religiösen Beitrag oder Thema zu finden“ erinnert sich Magdalena Harnischfeger-Ksoll.

Öffentlichkeitswirksam trat die Gruppe im bayerischen Landtagswahlkampf 1990 auf, in dessen Verlauf eine bayerische Partei versuchte, Stimmen zu gewinnen auf Kosten der Asylbewerber. Ruth-Alice von Bismarck unterzeichnete die Einladung zu einem Pressegespräch anlässlich der Vorstellung des Aufrufs „Frauen überschreiten Grenzen“ 1990.

Lebenslange Verbundenheit

Gemeinsame Fahrten vertieften die Zusammenarbeit, wie aus einem Rundbrief Ruth-Alice von Bismarcks deutlich wird, den sie nach einem gemeinsamen Wochenende im Chiemgau im Juli 1989 an alle Teilnehmerinnen verschickte:

„Was ist bloß passiert an „unserem“ Wochenende, das überhaupt kein Wochenende war, sondern nur eine Nacht mit wenigen Stunden danach und davor? … Wir hatten ein Referat von Silvia Görres … Wir schliefen in zwei Häusern. Wir waren alle pünktlich zur Eutonie vor dem Frühstück … Wie kam es nur, dass wir am Schluss feststellten, dass wir in viel zu vielen Autos gekommen waren, weil jeder sich gerne noch hinterher mit anderen ausgetauscht hätte ‒ warum es eigentlich so schön war …?“

Eine gemeinsame Prag-Reise im Oktober 1991 bezeichnet Ruth-Alice in einem Brief an Carola Bloss als einen „wichtigen Markstein“ in der Geschichte des Frauenkreises. Die Organisation in Prag hatte Carola Bloss übernommen, deren Ehemann am dortigen Goethe-Institut tätig war. Die Reisevorbereitungen in München leistete Ruth-Alice. Ihre Verbundenheit mit den „Freiheitsschwestern“ hatte auch nach dem Wegzug von München Bestand: „Diese Tage in München waren eine große Stärkung“ schrieb sie im Januar 2000 an Margarte Weber.

Zitate aus einem Brief von Frau Magdalena Harnischfeger-Ksoll vom 20.5.2014 und aus einem Brief von Ruth-Alice von Bismarck an Frau Margarete Weber vom 31.1.2000 und an Frau Carola Bloss vom 27.1.1992. Redaktionelle Bearbeitung Christine Schatz

Weiterführende Dokumente: Protokolle von Treffen der Frauengruppe Protokoll 24.3.88, Protokoll 4.10.89/2.11.89, Protokoll 10.11.90; Ruth-Alice im Interview über den Frauenkreis, Aufruf „Frauen überschreiten Grenzen“ 1990.